8 29. Der Bundesrat als Organ des Reiches. 255
des Reiches, übt er die souveräne, über den Staaten stehende Reichs-
gewalt aus. Ein Bundesratsbeschluß entsteht zwar durch die
Willensentschlüsse der einzelnen Staaten, aber er ist nicht eine über-
einstimmende Willenserklärung der letzteren oder der Majorität
derselben, sondern er ist die Willenserklärung eines selbständigen,
öffentlich-rechtlichen Subjekts, welchem die staatliche Herrschaft über
die Einzelstaaten zusteht, das aber durch die Gesamtheit der letzteren
gebildet wird.
Sowie in diesem ideellen Subjekt die Personen der Mitglieder, aus
denen es gebildet ist, als Individuen verschwinden, so erscheint auch
der Bundesrat als Einheit, sobald er an der Ausübung der Reichs-
gewalt und an der Durchführung der dem Reiche obliegenden Aufgaben
Anteil nimmt.
Man kann daher auch nicht behaupten, die Souveränität des Reiches
sei zwischen Bundesrat und Kaiser geteilt. Die souveräne Gewalt ist
unteilbar, und weder dem Bundesrat noch dem Kaiser steht ein Teil
derselben zu; sie gehört vielmehr ganz und vollständig der Gesamtheit
der deutschen Staaten. Aber die Funktionen der Staatstätigkeit, die
Leistung der staatlichen Arbeit im Reich, die Handhabung der sou-
veränen Gewalt auf verschiedenen Gebieten des staatlichen Lebens
sind an mehrere Organe verteilt und von dem Zusammenwirken der-
selben abhängig gemacht. Die Art dieser Verteilung beruht oft mehr
auf politischen Gründen und Zweckmäßigkeitserwägungen als auf
juristischen Prinzipien und logischen Konsequenzen. Mit einer Definition
des Bundesrates den Wirkungskreis desselben so zu bestimmen, daß
alles, was ihm obliegt, eingeschlossen, und alles andere ausgeschlossen
ist, erweist sich als unmöglich.
Wohl aber kann man die Stellung des Bundesrates im Organismus
des Reiches näher bestimmen, namentlich im Gegensatz zu der Stellung
des Kaisers.
Charakteristisch für den Bundesrat ist, daß er immer nur be-
schließen, niemals handeln, befehlen, verfügen kann. In dieser Be-
ziehung steht er dem Reichstage gleich. Seine Beschlüsse können die
Vorbedingung für Handlungen des Kaisers oder der Reichsbehörden
oder der Landesregierungen sein oder sie können den Impuls zu solchen
geben d. h. es kann die verfassungsmäßige Pflicht bestehen, auf Grund
von Bundesratsbeschlüssen die ihnen entsprechenden Handlungen
vorzunehmen; aber niemals ist der Bundesrat befugt, seine Beschlüsse
selbst zur Ausführung zu bringen. Nicht einmal die von ihm be-
schlossenen Gesetzentwürfe kann er selbst dem Reichstage vorlegen,
noch die von ihm sanktionierten Gesetze selbst verkündigen RV. Art. 16,
17; er kann dem Abschluß von Staatsverträgen »zustimmen«, aber sie
nicht ratifizieren RV. Art. 11. (Vgl. oben S. 229.) Daraus folgt, daß
der Schwerpunkt der dem Bundesrat zugewiesenen Tätigkeit in der
Aufstellung der Rechtsregeln und der allgemeinen Verwaltungsnormen