256 8 29. Der Bundesrat als Organ des Reiches.
ruht. Der Bundesrat ist das Gesetzgebungsorgan des
Reiches; seine Tätigkeit übt er aus teils unter Mitwirkung des
Reichstages (Gesetze), teils selbständig (Verordnungen).
Hierauf ist er aber allerdings nicht beschränkt, es steht ihm viel-
mehr bei den wichtigsten Verwaltungsgeschäften und Regierungshand-
lungen eine Mitwirkung zu. Der Bundesrat ist daher nicht bloß
Gesetzgebungsorgan, sondernauch Verwaltungsorgan desReiches.
In einzelnen Fällen ist er auch berufen, für die Aufrechterhaltung der
Rechtsordnung im Reiche mitzuwirken. Aber es besteht zwischen
diesen Aufgaben des Bundesrates eine große Verschiedenheit. Daß der
Bundesrat die Gesetze und Verordnungen beschließt, ist die Regel;
sollen für das Reich gültige Rechtsnormen ohne Beschlußfassung des
Bundesrates zustande kommen, z. B. durch allerhöchsten Erlaß des
Kaisers, so muß dies durch ein Gesetz besonders bestimmt sein.
Dagegen daß der Bundesrat eine Mitwirkung an den Verwaltungs-
geschäften hat, ist die Ausnahme; die Mitwirkung des Bundesrates
und die daraus resultierende Beschränkung des Kaisers, beziehentlich
des Reichskanzlers, erstreckt sich nur so weit, als sie durch gesetzliche
Bestimmung angeordnet ist. Dadurch rechtfertigt sich die prinzipielle
Charakterisierung des Bundesrats als des für die Gesetzgebung bestimm-
ten Organes des Reiches !).
I. Der Bundesratals Organ der Gesetzgebung.
Die Reichsverfassung weist diese Funktion dem Bundesrate zu,
teils im Art. 5, teils im Art. 7. Im Art. 5 wird der Grundsatz ausge-
sprochen: »Die Reichsgesetzgebung wird ausgeübt durch den Bundesrat
und den Reichstag«; nach Art. 7, Ziff. 1 beschließt der Bundesrat »über
die dem Reichstage zu machenden Vorlagen und die von demselben
gefaßten Beschlüsse«. An der Reichsgesetzgebung nehmen außer dem
Bundesrat zwar auch der Reichstag und der Kaiser teil; der erstere,
indem kein Gesetz erlassen werden darf, zu welchem er nicht seine
Zustimmung erteilt hat; der letztere, indem ihm die Ausfertigung und
die Verkündigung der Gesetze zusteht. Allein der Reichstag nimmt
keinen Teil an dem Erlaß des Gesetzesbefehls, also an der in
dem Gesetzgebungsakt liegenden Betätigung der Herrschermacht, sondern
seine Zustimmung ist lediglich eine Vorbedingung für den Erlaß des
Gesetzesbefehls; der Kaiser andererseits ist verfassungsmäßig verpflichtet,
das ordnungsmäßig beschlossene Gesetz auszufertigen und zu ver-
kündigen; sein Wille ist ein rechtlich gebundener. Der Bundesrat
dagegen beschließt über die dem Reichstage zu machenden Vorlagen
und die von demselben gefaßten Beschlüsse mit rechtlicher Freiheit
1) Vgl. auch v. Martitz S. 52fg.; v. Gerber, Grundzüge S. 255; Thudi-
chum S. 107. Ferner Schulze, Preuß. Staatsrecht II, S. 800; Meyer S 121;
KliemkeS. 39fg.; Seydel im Jahrb. S. 284; Löning 8.62; Anschütz S. 542.