Aus dem Vorwort zur ersten Auflage.
In den ersten Jahren nach Gründung des Norddeutschen Bundes
wendete sich das öffentliche Interesse naturgemäß der politischen
Würdigung der Neugestaltung Deutschlands zu. Die großen Ereignisse.
welche dieser Gründung vorangegangen waren, hatten die politischen
Leidenschaften des Volkes in ungewöhnlichem Grade erregt. Die neue
Verfassung war für jeden, der an dem politischen Leben der Nation
Anteil nahm, ein Gegenstand der Sympathie oder Antipathie, also des
Gefühls. Ob die neue Schöpfung Bestand haben werde oder nicht, ob
sie die Wohlfahrt des deutschen Volkes fördern oder hindern werde,
das waren die Fragen, welche Erörterung verdienten und fanden. Von
untergeordneter Wichtigkeit erschien es dagegen, in welcher Art die
neuentstandenen Zustände rechtlich zu definieren und welche Rechts-
begriffe auf sie anwendbar seien. Die nächste Aufgabe bestand nicht
in der Durchführung schulgerechter Konstruktionen, sondern in der
Vollbringung einer geschichtlichen Tat.
Im Lauf der Zeit ändert sich dies vollständig. Je längeren und je
festeren Bestand die neue Verfassungsform hat, desto müßiger erscheinen
die Betrachtungen darüber, ob ihre Einführung für heilsam oder für
schädlich zu erachten sei. Die Errichtung des Norddeutschen Bundes
und die Erweiterung desselben zum Deutschen Reich erscheint immer
mehr und mehr als eine unabänderliche Tatsache, in welche auch
derjenige sich schicken muß, dem sie unerwünscht ist. Die Verfassung
des Reiches ist nicht mehr der Gegenstand des Parteistreites, sondern
sie ist die gemeinsame Grundlage für alle Parteien und ihre Kämpfe
geworden; dagegen gewinnt das Verständnis dieser Verfassung selbst,
die Erkenntnis ihrer Grundprinzipien und der aus den letzteren her-
zuleitenden Folgesätze und die wissenschaftliche Beherrschung der neu
geschaffenen Rechtsbildungen ein immer steigendes Interesse. Mit dem
Ausbau der Verfassung und mit ihrer Durchführung gliedern sich die
Verhältnisse des neuen Öffentlichen Rechts immer feiner und reicher,
es wird immer schwieriger, zugleich aber auch wichtiger, in den ein-
zelnen Erscheinungen des öffentlichen Rechtslebens die einheitlichen
Grundsätze und leitenden Prinzipien festzuhalten; es entstehen durch
die Praxis selbst in unerschöpflicher Fülle neue Fragen und Zweifel,
welche nicht nach dem politischen Wunsch oder der politischen Macht,