Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

8 2. Die Gründung des Norddeutschen Bundes. 31 
Der Eintritt in den Norddeutschen Bund ist das Frühere, ist Grund 
und Ursache, die Abänderung der damit unvereinbaren Bestimmungen 
der Landesverfassungen das Spätere, die Folge und Wirkung. Die 
Publikationspatente haben überall einen positiven und identischen In- 
halt, die Erklärung des Beitritts zum Norddeutschen Bunde, nicht einen 
negativen und in jedem Staate anderen Inhalt, die Beseitigung von 
Landesgesetzen '). 
Die Publikationsgesetze und die zu ihrer Durchführung erfolgten 
Regierungshandlungen sind die definitive und vollständige Erfüllung 
des Augustbündnisses ?). Sie stellen die Handlung dar, zu welcher 
sich die Staaten gegenseitig verpflichtet hatten, nämlich die Grün- 
dung des Bundes?). Mit dieser Gründung war das Augustbündnis 
über die Errichtung des Bundes „mit gesamten Munde“ (!) hätten abgeben sollen. 
Eine solche, an altdeutsche Rechtsgebräuche anklingende Form von Willenserklä- 
rungen ist dem jetzt geltenden Staatsrecht unbekannt. Der formell korrekteste Weg 
wäre wohl gewesen, einen neuen Staatsvertrag unter sämtlichen norddeut- 
schen Staaten abzuschließen, der an Stelle des Augustbündnisses getreten wäre und 
für alle Kontrahenten das Recht und die Pflicht begründet hätte, am 1. Juli 1867 den 
durch die vereinbarte Verfassung definierten Norddeutscheu Bund zu er- 
richten, alsdann diesen Staatsvertrag in allen einzelnen Staaten den Landtagen 
zur verfassungsmäßigen Genehmigung vorzulegen und ihn rechtzeitig zu verkündigen. 
Aber was nützt es, Betrachtungen darüber anzustellen, was hätte geschehen können 
oder sollen? Es kommt darauf an, das, was geschehen ist, richtig zu verstehen. Die 
Zeit war nicht dazu angetan, die praktische Erreichung des lang ersehnten Zieles 
durch unnötige Weitläufigkeiten aus Rücksichten auf die formelle juristische „Kor- 
rektheit“ zu erschweren und möglicherweise in Frage zu stellen. 
1) Auch in der preußischen Thronrede vom 24. Juni 1867 wird dies angedeutet: 
„Durch die Zustimmung derpreußischenLandesvertretung zur 
Errichtung des Norddeutschen Bundes sind nunmehr alle Vorbedin- 
gungen für die Geltung der Verfassung desselben — in Preußen erfüllt.“ 
2) Uebereinstimmend Liebea. a.0. S. 625. 
3) Mit Unrecht sagt Zorn, Staatsrecht I, S. 29: „Die Einzelstaatsgesetze der 
22 Staaten enthalten die Uebernahme einer zukünftigen, am 1. Juli 1867 zu erfüllen- 
den Leistung.“ Gegen wen wird die Leistung übernommen? Die Gesetze enthalten 
kein Leistungsversprechen; es fehlt am Promittenten sowohl wie am Promissar. Die 
Uebernahme der Leistung war bereits im Augustvertrage wechselseitig erfolgt; die 
Publikationsgesetze enthalten diejenigen Willensakte der Einzelstaaten, durch welche 
der Augustvertrag erfüllt wurde. Daß der 1. Juli 1867 der Gründungstag des 
Norddeutschen Bundes ist, steht hiermit nicht im Widerspruch, wie Zorna.a. O,, 
Note 29, meint; denn nicht auf das Datum der Publikationsgesetze, sondern auf den in 
ihnen festgestellten Termin kommt es an. Auch der Einwand Zorns (S. 31, Note 3l), 
daß Gesetze nur „Erklärungen“ seien, ist ohne Belang, denn insofern durch ein Ge- 
setz die Regierung zu einem bestimmten Komplex von Handlungen angewiesen wird, 
die sich aus diesem Gesetz von selbst ergeben und die ohne dieses Gesetz verfas- 
sungswidrig und rechtsunwirksam sein würden, kann man mit Recht in dem Gesetz- 
gebungsakt die entscheidende Tat des Staates erblicken. Vgl. unten $ 56, 64. Zorn 
sucht dies dadurch zu widerlegen, daß er die Publikationsgesetze als Ausfüh- 
rungsgesetze zu dem Staatsvertrag vom August 1866 bezeichnet, welche nur 
unter der selbstverständlichen Voraussetzung gelten sollten, wenn auf Grund der 
Uebereinstimmung aller Partikulargesetze die Gründung des Bundes wirklich erfolgte. 
Hierdurch tritt die Unrichtigkeit und Willkürlichkeit seines Konstruktionsversuchs
	        
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