Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

8 43. Die richterlichen Reichsbehörden. 421 
III. Reichsverwaltungsgerichte. 
Hierher gehören diejenigen Behörden des Reiches, welche über 
die Anwendung und Auslegung von Verwaltungsgesetzen Entschei- 
dungen mit der Wirkung der Rechtskraft abgeben und hinsichtlich 
dieser Tätigkeit der oberen Leitung des Reichskanzlers oder einer an- 
deren Verwaltungsbehörde nicht unterworfen sind, sondern ihre Ent- 
scheidungen nach unabhängiger individueller Rechtsüberzeugung fällen. 
Hiermit ist von selbst auch die eigene Verantwortlichkeit dieser Be- 
hörden für ihre amtliche Wirksamkeit und der Ausschluß der Verant- 
wortlichkeit des Reichskanzlers gegeben. Es scheiden daher aus diesem 
Begriffe aus sowohl die oberen Verwaltungsbehörden, welche zwar 
ebenfalls tatsächlich über die Anwendung und Auslegung von Verwal- 
tungsvorschriften fortwährend zu entscheiden haben, jedoch den An- 
ordnungen des Reichskanzlers Folge zu leisten verpflichtet sind, als 
auch der Bundesrat selbst, der vielfach die Funktionen eines obersten 
Verwaltungsgerichtshofes des Reiches ausübt’), dessen Mitglieder aber 
nach den ihnen erteilten Instruktionen stimmen müssen. An einem 
Reichsverwaltungsgerichte von genereller Zuständigkeit fehlt es; die 
bisher errichteten Behörden zur Entscheidung der hierher gehörenden 
Rechtsfragen sind Spezialgerichte von eng umgrenzter Kompelenz. 
Es sind folgende: 
1. Das Bundesamt für das Heimatwesen) Dasselbe 
ist errichtet durch das Bundesgesetz über den Unterstützungswohnsitz 
vom 6. Juni 1870 (30. Mai 1908), $ 42 ff. (Bundesgesetzbl. S. 368). Es 
ist eine ständige und kollegiale Behörde, welche ihren Sitz in Berlin 
hat. Sie besteht aus einem Vorsitzenden und mindestens vier Mit- 
gliedern; der Vorsitzende sowohl als auch mindestens die Hälfte der 
Mitglieder muß die Qualifikation zum höheren Richteramte im Staate 
ihrer Angehörigkeit besitzen). Der Vorsitzende und die Mitglieder 
werden auf Vorschlag des Bundesrates vom Kaiser auf Lebenszeit er- 
nannt und sind den Mitgliedern des Reichsgerichtes in Beziehung auf 
Versetzung in ein anderes Amt, die einstweilige und die zwangsweise 
Versetzung in den Ruhestand, Disziplinarbestrafung und vorläufige 
Dienstenthebung gleichgestellt ®). 
Jedoch kann das Amt als Mitglied dieser Behörde als ein Neben- 
amt verliehen werden. Dasselbe unterscheidet sich aber von der 
ebenfalls als Nebenamt zu erteilenden Mitgliedschaft eines Disziplinar- 
gerichts dadurch, daß es nicht erlischt, wenn der Inhaber aus dem zur 
Zeit seiner Ernennung von ihm bekleideten Hauptamt ausscheidet, 
1) Siehe oben S. 267 fg. 
2) Vgl. König in v. Holtzendorffs Rechtslexikon; s. v. Heimatsamt (Bd. 2, 
S. 804 ff.); Münsterberg in v. Stengels Wörterbuch I, S. 771g. 
3) $ 42 cit. 
4) 8 43 zit. Gesetz vom 31. März 1873, 8 158.
	        
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