& 8. Fortsetzung. Kritik entgegenstehender Ansichten. 79
Bundesgewalt auf keinem Gebiete bestehe, da beide vollständig getrennte
Sphären haben ').
Die Gesetzgebung des Norddeutschen Bundes und des Deutschen
Reiches gibt zahlreiche Beispiele von der Ausübung staatlicher Herr-
schaftsrechte seitens der Bundesgewalt gegen die Einzelstaaten. Eine
große Anzahl von Artikeln der Reichsverfassung und der Reichsgesetze
richten sich ganz direkt und zweifellos gegen die Staaten. Aber
so lange die letzteren die Gerichtsgewalt, Steuergewalt und Kontingents-
herrlichkeit, die Polizeigewalt, die Verwaltung des Gewerbewesens u.s. w.
als selbständige Hoheitsrechte haben, sind auch die Justizgesetze, Zoll-
und Steuergesetze, Militärgesetze, Gewerbegesetze u. s. w. des Reiches
Normen für die Einzelstaaten, wie sie durch ihre Behörden diese
Hoheitsrechte auszuüben haben. Daß diese Reichsgesetze seitens der
Einzelstaaten nicht besonders verkündet zu werden brauchen und
daß kein Einzelstaat befugt ist, mit rechtlicher Wirksamkeit Anord-
nungen zu treffen, welche den Reichsgesetzen widersprechen, steht in
keiner Weise dem Satze entgegen, daß die Reichsgesetze ihrem Inhalte
nach zum großen Teil Rechtsnormen sind, welche die Lebenstätigkeit
der Einzelstaaten, ihre Befugnisse, Rechte und Pflichten, regeln.
Dem Reiche gegenüber stehen die Staaten dafür ein, daß die
Reichsgesetze innerhalb des Staatsgebietes von den Verwaltungsbehör-
den und Gerichten befolgt und durchgeführt werden; eine unmittel-
bare Abhängigkeit der Behörden von der Zentralgewalt des Reiches
besteht in der Regel nicht, auch auf den von der Gesetzgebung des
Reiches beherrschten Gebieten nicht. Werden Reichsgesetze in einem
Bundesstaat verletzt, so kann das Reich der Regel nach keine unmiittel-
bare Remedur eintreten lassen, sondern es kann nur den Staat an-
halten, das Reichsgesetz zu beachten oder zu vollziehen. Dem Staat
gegenüber macht das Reich sein obrigkeitliches Herrschaftsrecht geltend,
und wenn es zur zwangsweisen Durchführung kommt, wird die Exe-
kution gegen den widerspenstigen Staat vollstreckt. Von derselben
betroffen werden alle Mitglieder desselben, schuldige und unschuldige,
ohne Rücksicht darauf, ob sie gerade an der Verletzung der Reichs-
gesetze teilgenommen haben oder nicht. Sie werden von der Exe-
kution des Reiches betroffen, weil sie Mitglieder des Staates sind, der
seine Bundespflichten nicht erfüllt, und weil das Reich seine Herr-
schaftsrechte gegen diesen Staat zur Geltung bringt. Bei einem Bundes-
staat nach der herrschenden Begriffsbestimmung wäre für eine Bundes-
exekution gar kein Raum, denn wenn Bundesstaat und Einzelstaaten
sanz getrennte Sphären haben, partielle Staaten sind, die neben
einander bestehen und ihre Aufgaben mit eigenen Mitteln verwirk-
lichen, so müßte es ja an einem Gebiete fehlen, auf wechem der
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l) Diese Anschauung war zurzeit des Erscheinens der ersten Auflage dieses Werkes
noch die allgemein herrschende.