Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

38 8 9. Die rechtliche Natur des Reiches. 
schen Unterschied nicht befriedigt zu sein; denn wenige Seiten darauf 
(S. 462) sagt er: »Man wird das Unterscheidungsmerkmal 
von Staatenbund und Bundesstaat in die Selbstgenugsamkeit, die Selb- 
ständigkeit, die Unabhängigkeit des Bundes gegenüber seinen Mitglie- 
dern setzen dürfen und müssen; diejenigen Bünde sind Bundesstaaten, 
bei denen diese Eigenschaften vorhanden sind, die anderen dagegen 
sind Staatenbünde.« Dies scheint also die wahre Ansicht Westerkamps 
vom wesentlichen Unterschiede zu sein; aber es scheint nur so. 
Denn er fügt sofort hinzu: »Indessen ist dieses Unterscheidungsmerk- 
mal, welches keine Wesensverschiedenheit zwischen Staaten- 
bund und Bundesstaat annimmt, sondern das Unterscheidende nur (!!) 
in die Eigenschaften (!) des Bundes setzt, der näheren Bestimmungen 
bedürftig, aber auch fähig.« Mit einem Schriftsteller, welcher in dieser 
Art die Grundprinzipien der Logik mißhandelt?), ist eine Auseinander- 
setzung über dogmatische Begriffe freilich unmöglich. Wenn man 
aber das von ihm gefundene Resultat der Nebelhaftigkeit des Gedan- 
kens und der Unbestimmtheit der Ausdrucksweise entkleidet und die 
Frage dahin vertieft, auf welchem letzten Grunde die »Selbstgenug- 
samkeit, Selbständigkeit und Unabhängigkeit« des Bundes beruht, so 
gelangt man zu dem Satze: »Im Bundesstaat ist die Zentralgewält sou- 
verän, im Staatenbund sind es die Gliedstaaten.« Dies ist allerdings 
richtig, wie oben S. 58 ausgeführt worden ist. 
S 9. Die rechtliche Natur des Reiches. 
Nach Feststellung der allgemeinen Begriffe des Staatenbundes und 
des Bundesstaates als einer Unterart des Staatenstaates ist nunmehr 
die Frage zu erörtern, ob das Deutsche Reich nach seiner konkreten 
positiven Rechtsgestaltung dem einen oder anderen dieser beiden Be- 
griffe zu subsumieren ist, mit anderen Worten: ob das Reich eine 
juristische Person des öffentlichen Rechts oder ein Rechtsver- 
hältnis unter den deutschen Staaten ist? 
Während die überwiegende Mehrzahl der Schriftsteller über das 
Recht des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches?) sich 
für die staatliche Natur entscheidet, hat Sey del?) mit beachtungs- 
werten Gründen den Versuch unternommen, das Reich als einen 
Staatenbund aufzufassen und die Bestimmungen der Reichsverfassung 
von diesem Prinzip aus zu erklären‘). Seydel hält an dem Erforder- 
1) Beispiele dafür lassen sich aus dem Buch von Westerkamp in Menge er- 
bringen; aber es handelt sich hier ja nicht um eine Rezension desselben. Vgl. die 
treffliche Beurteilung dieses Buches von Jellinek in Grünhuts Zeitschrift Bd. 21, 
S. 460 ff. 
2) Vgl. die Zusammenstellung der Literatur in G. Meyers Staatsrecht & 71, 
Note 2. 
3) Kommentar zur Reichsverfassung S. 3 ff., 2. Aufl., S. 13 ft. 
4) In dieser Hinsicht stimmen mit Seydel überein v. Martitz, Betrach-
	        
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