8 $ 54. Der Begriff und die Erfordernisse des Gesetzes.
des Landtages, ohne zu erkennen, daß die Genehmigung eines Gesetzes
durch den Landtag eine Willenserklärung von ganz anderem Inhalte
ist als die Genehmigung eines Gesetzes durch den Landesherrn. Der
Sprachgebrauch wurde immer allgemeiner, dem Landesherrn ein »Veto«,
und zwar das sogen. absolute Veto, beizulegen'). Dadurch wurde das
ihm zustehende Recht der Sanktion unter den verkehrtesten Gesichts-
punkt gebracht, indem das Wesen der landesherrlichen Befugnis, wenn
sie ein Veto wäre, nicht darin bestände, ein Gesetz zu erlassen,
sondern den Gesetzgeber (Landtag) an der Ausübung seines Rechtes
zu hindern?) Daß man aus dieser falschen Auffassung keine Kon-
sequenzen zog, beruhte wesentlich darauf, daß die Behandlung des
Staatsrechts eine vorwiegend politische war, welche sich um die juri-
stische Logik nicht kümmerte.
Die wichtigste aller deutschen Verfassungen, die preußische Ver-
fassungsurkunde vom 31. Januar 1850, folgte der herrschenden Theorie
von der Gleichartigkeit der Funktionen, welche der König und der
Landtag hinsichtlich der Gesetzgebung auszuüben haben, indem sie
im Art. 62 bestimmte:
»Die gesetzgebende Gewalt wird gemeinschaftlich durch den
König und durch zwei Kammern ausgeübt. Die Uebereinstimmung
des Königs und beider Kammern ist zu jedem Gesetze erforderlich.«
Dieser Bestimmung gegenüber suchte man die Unteilbarkeit der dem
Könige zustehenden Souveränität durch die theoretische Unterscheidung
zwischen jus und exercitium juris zu retten. Das Recht der Gesetz-
gebung stehe dem Könige zu, die Ausübung erfolge in Gemein-
schaft mit dem Landtage ?.. Diese Unterscheidung ist aber inhaltlos
und rein scholastisch; denn das abstrakte Recht der Gesetzgebung
kommt nur durch die Ausübung desselben zur Verwirklichung; nur
derjenige ist der Gesetzgeber, welcher die Gesetze »gibt« d. h. das
Recht der Gesetzgebung ausübt; ein Recht zur Gesetzgebung, von
welchen: das Recht, die Gesetze wirklich zu geben, d.h. es auszuüben,
abgetrennt ist, ist nichts als ein spekulatives Phantom ohne Realität.
Auch konnte man sich nicht verhehlen, daß nur dieSanktion
1) Vgl. Murhardt, Das König]. Veto in der konstit. Monarchie 1832; Klüber,
Oeffentl. Recht $ 295, Note a; Zöpfl, Grundsätze des Staatsrechts II, 8 373, Nr. IV;
v. Rönne, Preuß. Staatsrecht I, 1, $ 46 (S. 175). Weiß, Staatsrecht $ 309 spricht
sogar von einem wechselseitigen Veto der Regierung und der Stände; ebenso
Westerkamp S. 95fg. von einem wechselseitigen Veto des Reichstages und des
Bundesrates hinsichtlich der Reichsgesetze.
2) Nicht das Veto, sondern das Plazet steht dem Könige zu. Vgl. auch
Zachariä ll, S. 163 und Bluntschlia.a. O. S. 433.
3) v. Rönne, Preuß. Staatsrecht I, 1, S. 172 erklärt, die gesetzgebende Gewalt
sei ein Ausfluß der Staatsgewalt und stehe daher dem Könige als dem Oberhaupte
der ungeteilten Staatsgewalt zu. Gleich darauf S. 176 aber heißt es, die gesetz-
gebende Gewalt stehe dem Könige und den beiden Kammern gemein-
schaftlich zu, und es wird daraus sogar deduziert, daß es nicht einmal möglich
sei, die Ausübung der Gesetzgebungsgewalt dem Könige zu delegieren.