8 54. Der Begriff und die Erfordernisse des Gesetzes. 15
gesetzgebung sind daher insofern gleichartig und stehen in gemein-
samem Gegensatz zu den Statuten und Anordnungen aller nichtstaat-
lichen Körperschaften, als sie auf einem selbständigen Herrschaftsrecht,
einer Staatsgewalt, beruhen ').
9. Da jedes Gesetz ein Willensakt ist, bedarf dasselbe einer Er-
klärung. Denn ein Wille, welcher nicht erklärt, d. h. äußerlich
erkennbar gemacht ist, gilt juristisch nicht als vorhanden. Die Form,
in welcher die Erklärung erfolgen muß, läßt sich aus dem Begriff des
Gesetzes nicht ableiten, sondern bestimmt sich nach den positiven
Vorschriften, welche darüber bestehen. Die Erklärung des Gesetzes-
willens darf man aber nicht verwechseln oder identifizieren mit der
Verkündigung des Gesetzes. Es kann allerdings eine Form der Er-
klärung gewählt werden, welche zugleich die Gemeinkundigkeit des
Gesetzes herbeiführt oder erleichtert; es gilt dies namentlich von dem
Falle, wenn die Sanktion des Gesetzes durch Abstimmung der Volks-
versammlung erfolgt und das Resultat der Abstimmung in der Volks-
versammlung selbst verkündigt wird. Gewöhnlich aber ist die Bekannt-
machung eines Gesetzes von der Erklärung des Gesetzeswillens ge-
trennt. Die Form für diese Erklärung dient nur dem Zwecke, den
Gesetzeswillen in authentischer Gestalt erkennbar, nicht ihn allgemein
bekannt zu machen. Gegenwärtig bedient man sich allgemein hierzu
der Schrift; die Form der Gesetzeserklärung ist sonach die der öffent-
lichen Urkunde. Wer diese Urkunde auszufertigen hat und
welchen Erfordernissen dieselbe genügen muß, ist eine Frage des posi-
tiven Rechts; für die Reichsgesetzgebung beantwortet sie sich durch
Art. 17 der Reichsverfassung. Wesentlich ist für dieselbe nur, daß
sich aus derselben in formell unzweifelhafter Art das Vorhandensein
des Gesetzgebungsbefehls und sein Inhalt ergibt. Durch die Beurkun-
dung des Gesetzes wird dasselbe sinnlich wahrnehmbar und
dadurch juristisch erst existent. In der absoluten Monarchie enthält
die Gesetzesurkunde weiter nichts als die Erklärung des landesherr-
lichen Willens, daß die in ihr formulierten Rechtssätze befolgt werden
sollen; das Zustandekommen eines rechtsgültigen Gesetzes ist an andere
Voraussetzungen nicht gebunden; die formellen Erfordernisse der Ge-
setzesurkunde dienen lediglich zur Sicherung, um den wahren und
ernsten Willen des Monarchen zu konstatieren und um Fälschungen,
Irrtümer und Willkürlichkeiten auszuschließen. Wo aber der Erlaß
1) Vgl. Bd. 1, S. 70fg.; JellinekS. 259; Seydel S. 310. Manche Schrift-
steller, z. B. G. Meyer 8 155, Note 8, nehmen daher an der Bezeichnung der Lan-
desgesetzgebung als Autonomie unter Berufung auf den Sprachgebrauch Anstoß; es
soll mit diesem Ausdruck hier aber nur die Landesgesetzgebung im Gegensatz zur
Reichsgesetzgebung als „nicht souveräne“ Gesetzgebung charakterisiert werden. Wenn
Gierke, Deutsches Privatrecht I, 8 16 die Autonomie definiert als die Befugnis
eines Verbandes, der nicht Staatist, sich selbst Recht zu setzen, so ist die
Schlußfolgerung, daß „darum“ die Landesgesetzgebung keine Autonomie sei, aller-
dings unanfechtbar.