Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Dritter Band. (3)

420 $ 87. Die Verpflichtung zur Rechtshilfe. 
stellt das Gesetz keine Regel auf über die Vollstreckung von Freiheits- 
strafen von längerer Dauer. Mit dem argumentum a contrario ist aus 
dem 8163 nicht zu schließen, daß Strafen von längerer Dauer in de m- 
jenigen Staate vollstreckt werden müssen, dessen Gerichte sie 
verhängt haben, sondern nur, daß der Staat, in dessen Gebiet sich der 
Verurteilte aufhält, nicht verpflichtet ist, sich der Strafvoll- 
streckung zu unterziehen. Es ist diesem Staate demnach reichsgesetz- 
lich unverwehrt, freiwillig dies auf sich zu nehmen, und folglich kön- 
nen die Einzelstaaten auch untereinander Staatsverträge schließen, 
durch welche sie hinsichtlich der Strafvollstreckung weitergehende 
Verpflichtungen als die im 8 163 cit. ihnen reichsgesetzlich auferlegten 
gegeneinander übernehmen '!). 
c) Für den Fall, daß eine Gesamtstrafe zu vollstrecken ist, welche 
Strafen umfaßt, die von Gerichten verschiedener Bundesstaaten 
festgesetzt sind, hat der Bundesrat durch Beschluß vom 11. Juni 
1885 (Zentralbl. S. 270) Spezialbestimmungen getroffen, welche den 
rechtlichen Charakter von Vereinbarungen der Bundesstaaten haben, 
d. h. dieselben nicht hindern, untereinander für einzelne Fälle oder 
für besondere Kategorien von Fällen abweichende Vereinbarungen zu 
treffen, und welche selbstverständlich die Rechtsvorschrift des $& 163 
unberührt lassen. Nach diesem Beschluß ist die Gesamtstrafe von 
demjenigen Staate zu vollstrecken, dessen Gericht dieselbe festgesetzt 
hat; auf Ersuchen der zuständigen Behörde dieses Staates ist aber die 
Vollstreckung von demjenigen Staate zu übernehmen, welcher nach 
dem Gesamtbetrage der von seinen Gerichten erkannten Einzelstrafen 
an der Gesamtstrafe am höchsten beteiligt ist. 
9. Das Gerichtsverfassungsgesetz hat noch nach einer andern Rich- 
tung die gleichmäßige Handhabung der Rechtspflege gesichert, indem 
es dem von der Rechtshilfe handelnden (13.) Titel die Bestimmung 
hinzugefügt hat: »Die in einem Bundesstaate bestehenden Vorschriften 
über die Mitteilung von Akten einer öffentlichen Behörde an ein Ge- 
richt dieses Bundesstaates kommen auch dann zur Anwendung, wenn 
das ersuchende Gericht einem andern Bundesstaate angehört«?). Es 
bezieht sich diese Vorschrift nicht eigentlich auf die Rechtshilfe, da 
sie nicht die Verpflichtung der Gerichte zur Vornahme einer richter- 
lichen Handlung begründet, sondern die Pflicht »öffentlicher Behörden« 
zur Vorlegung ihrer Akten bei Gericht betrifft. Sie normiert auch keines- 
wegs die Voraussetzungen und den Umfang dieser Pflicht; sie über- 
läßt es vielmehr vollkommen den Regierungen der Staaten, Anordnungen 
über die Mitteilung von Akten an die Gerichte zu treffen; sie stellt ledig- 
lich die Regel auf, daß diese Anordnungen dieselben für die Gerichte 
der anderen Bundesstaaten wie für die eigenen Gerichte sein müssen’). 
1) Vgl. Protokoll der Reichstagskommission I. Lesung, S. 9 (Hahn S. 323). 
2) Gerichtsverfassungsgesetz & 169. 
3) 8 169 beruht auf dem im Art. 3, Abs. 1 der Reichsverfassung sanktionierten
	        
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