484 8 92. Die Zeugenpflicht.
pflege bestehende Last und ihre Geltendmachung als eine Betätigung
der Gerichtsbarkeit. Soweit die letztere vom Reich geordnet
ist, erstreckt sich diese Regelung auch auf die Zeugenpflicht, nicht bloß
auf den Zeugenbeweis.
Es ergibt sich hieraus ein sehr wichtiger und in seinen praktischen
Konsequenzen weitreichender Satz, nämlich daß eine einheitliche, um-
fassende und gleichmäßige Normierung der Zeugenpflicht in Deutsch-
land fehlt. Nur für die zur ordentlichen streitigen Gerichts-
barkeit gehörenden Angelegenheiten ist in den drei Reichsprozeßord-
nungen und außerdem für einzelne spezielle Fälle in besonderen
Reichsgesetzen die Zeugenpflicht reichsgeseftzlich anerkannt und hin-
sichtlich ihres Umfanges und der Art und Weise ihrer Geltendmachung
geregelt worden. Die Einzelstaaten können in dieser Beziehung das
Maß der Zeugenpflicht weder einschränken noch ausdehnen, da dies
eine Abänderung reichsgesetzlicher Anordnungen sein würde, wozu die
Einzelstaaten außerstande sind. Dagegen ist für alle anderen Ange-
legenheiten, mögen sie zum Gebiet der Gerichtsbarkeit gehören oder
zu dem der Verwaltung, mögen sie der Kompetenz der ordentlichen
Gerichie zugewiesen oder anderen Behörden übertragen sein, die Zeu-
genpflicht der autonomen Regelung der Einzelstaaten überlassen. So-
weit aber nicht durch Landesgesetze in diesen Sachen eine Zeugen-
pflicht begründet ist, besteht eine solche nicht; die Vorschriften der
Strafprozeß- und Zivilprozeßordnung finden außerhalb des Gebietes der
ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit an und für sich!) keine Anwen-
dung. In allen von den erwähnten Reichsgesetzen nicht berührten
Fällen ist daher lediglich nach dem Partikularrecht der Einzelstaaten
zu beurteilen, wer zeugenpflichtig ist, in welchen Angelegenheiten und
gegen welche Behörden die Pflicht zur Ablegung des Zeugnisses erfüllt
werden muß und welche Rechtsfolgen die Nichterfüllung hat’).
Da uns hier nur eine Darstellung des Reichsstaatsrechts ob-
liegt, so fällt dieser ganze Teil der Lehre von der Zeugenpflicht, für
den es an reichsgesetzlichen Vorschriften gänzlich mangelt, außerhalb
unserer Aufgabe; wir beschränken uns im folgenden ausschließlich auf
die Darstellung der reichsgesetzlich geordneten Zeugenpflicht.
II. Das Recht auf Erfüllung der Zeugenpflicht. Es
handelt sich hier um die Frage, welche Behörden können die Able-
gung eines Zeugnisses verlangen und in welchen Angelegenheiten ?
Auch hier ist die scharfe Trennung der prozessualischen und der
staatsrechtlichen Seite an die Spitze zu stellen. Der Satz, daß ein Be-
amter zur Vernehmung von Zeugen befugt ist, kann einen doppelten
Sinn haben; einen prozessualischen, d.h. daß die von ihm
1) D. h. wenn sie nicht durchbesonderelandesgesetzlicheAnord-
nung auch auf andere Angelegenheiten für anwendbar erklärt worden sind.
2) Uebereinstimmend Löwe Note 6 zu SS 51—54 der Strafprozeßordnung und
v. Lilienthala.a. 0. S. 1428.