Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Dritter Band. (3)

$ 92. Die Zeugenpflicht. 491 
werden. Hieraus folgt aber freilich nicht, daß ein solcher Zwang 
überhaupt nicht zulässig sei; er kann vielmehr durch andere Ge- 
setze begründet sein ’),. In dieser Hinsicht sind folgende Rechtssätze 
festzuhalten: 
a) Die Einzelstaaten sind hinsichtlich des Disziplinarrechts 
völlig autonom und von Reichs wegen ungehindert, die Zeugenpflicht 
für Zwecke der Disziplin einzuführen. Soweit durch ältere Gesetze 
eine Zeugenpflicht und ein Zeugenzwang im Disziplinarverfahren be- 
gründet war, ist durch Einführung der Strafprozeßordnung nichts 
daran geändert worden’). Auch steht es den Einzelstaaten völlig frei, 
die Bestimmungen der Strafprozeßordnung über die Zeugenpflicht auf 
das Disziplinarverfahren mit oder ohne Veränderungen für anwendbar 
zu erklären. Ein näheres Eingehen auf den Rechtszustand, der in 
dieser Hinsicht zur Zeit in den einzelnen Bundesstaaten besteht, liegt 
nicht in unserer Aufgabe; es genügt die Darlegung des Prinzips °). 
b) Für das Reichsstaatsrecht kommt ausschließlich das 
Reichsbeamtengesetz in Betracht. Dasselbe enthält zwar keine Vor- 
schrift, welche ausdrücklich und zweifellos die Zeugenpflicht im Dis- 
ziplinarverfahren sanktioniert, aus dem: Zusammenhange seiner Be- 
stimmungen ergibt sich dies aber als der Wille des Gesetzgebers. Zu- 
nächt ist ein kontradiktorisches Verfahren mit Bewciserhebungen ge- 
rade in Disziplinarsaehen ohne den Zeugenzwang nur schwer durch- 
führbar, da es einem wegen Verletzung der Dienstpflicht zur Verant- 
wortung gezogenen Beamten verhältnismäßig leicht gelingen wird, die 
Belastungszeugen zur Verweigerung der Aussage zu bestimmen, wenn 
dies von ihrem freien Belieben abhängig ist. Der Gesetzgeber kann 
daher vernünftigerweise nicht ein bestimmt geartetes Disziplinarver- 
fahren anordnen, zugleich aber die zur Durchführung desselben un- 
entbehrlichen Machtmittel versagen wollen. Das Reichsbeamtengesetz 
enthält ferner mehrfache Bestimmungen, welche das Recht zum Zeu- 
genzwang stillschweigend voraussetzen. Nach $ 94 werden die Zeugen 
in der Voruntersuchung vernommen und nach Befinden vereidigt; 
nach $ 96 kann die Staatsanwaltschaft eine Ergänzung der Vorunter- 
suchung, also auch die Vernehmung weiterer Zeugen beantragen; nach 
8 106 muß die Vernehmung der Zeugen auf Antrag der Staatsanwalt- 
schaft oder des Angeschuldigten in der mündlichen Verhandlung er- 
folgen, sofern die Tatsachen erheblich sind, über welche die Verneh- 
mung stattfinden soll. Nach $ 107 ist die Vernehmung eines Zeugen 
1) Vgl. Löwe Note 6 zu $ 51—54 der Strafprozeßordnung. Delius in der 
Deutschen Juristenzeitung 1897, S. 48 ff. 
2) Wohl aber möglicherweise durch die landesgesetzlich ausgesprochene gän 2z- 
liche Aufhebung der älteren Gesetze. 
3) Vgl. für Preußen v. Lilienthal a.a. O. S. 1429, dessen Erörterung auf 
dem richtigen Prinzip beruht. Ferner v. Rheinbaben, Die preuß. Disziplinar- 
gesetze, Berlin 1904, S. 157, 189.
	        
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