10 $S 95. Allgemeine Prinzipien.
finden; hier ist nur folgender Punkt von allgemeiner Bedeutung noch
hervorzuheben. Die ehemaligen Bundeskontingente einiger Staaten
sind im Jahre 1867 gänzlich aufgelöst worden, nämlich in Schwarzburg-
Sondershausen, Waldeck, Lippe-Detmold, Schaumburg-Lippe und in
den drei Hansestädten. Diese Staaten gelten in militärischer Hinsicht
als Preußen einverleibt; ihre Wehrpflichtigen werden in preußische
Truppenteile eingestellt. In den anderen Staaten dagegen sind die
Kontingente nur nach preußischem Muster reorganisiert und in den
Verband der preußischen Armee aufgenommen worden; die Regi-
menter werden nach dem Staate, dem sie angehören, benannt, tragen
am Helm das Landeswappen und die Landeskokarde, ergänzen sich
vorzugsweise aus den Wehrpflichtigen der betreffenden Staaten und
haben Garnisonen in letzteren erhalten. In den größeren Staaten,
insbesondere in Mecklenburg, Hessen und Baden ist außerdem die
Kontingentsgemeinschaft der den betreffenden Staaten angehörigen
Truppen gewahrt; die hessischen bilden eine geschlossene Division,
die badischen ein Armeekorps für sich und sind als solche ein Be-
standteil der preußischen Armee').
Es bleiben demnach im ganzen nur zwei Staaten übrig, auf wel-
che die in der Reichsverfassung normierte Ordnung des Heerwesens,
insbesondere die Teilung der staatlichen Militärhoheitsrechte
zwischen Reich und Einzelstaat wirklich Anwendung findet, näm-
lich die Königreiche Sachsen und Württemberg; und auch mit ihnen
sind Militärkonventionen abgeschlossen worden, durch welche
zwar nicht die prinzipiellen Grundlagen verändert, wohl aber die
in der Reichsverfassung gezogenen Grundlinien der beiderseitigen
Kompetenz verschoben worden sind, in praktisch minder erhebli-
chem Grade zugunsten Sachsens, in bedeutenderem Maße zugunsten
Württembergs und mit dem Unterschiede, daß das Sonderrecht
Württembergs in der Reichsverfassung ausdrücklich anerkannt ist,
das Sachsens nicht.
Wohl mag es auffallend erscheinen, daß zwischen dem in der
Verfassung festgesetzten Recht und dem tatsächlichen Zustand ein so
großer Unterschied besteht. Wozu nahm man den Umweg, erst in
der Verfassung den Staaten weitgehende Rechte einzuräumen, und
dann im Wege der Konvention sie ihnen tatsächlich wieder zu ent-
ziehen? Warum hat man nicht lieber in der Verfassung des Nord-
deutschen Bundes als Regel denjenigen Zustand normiert, der für alle
Staaten außer Sachsen in Wirklichkeit hergestellt wurde, und daneben
eine Ausnahme für Sachsen anerkannt, wie man es später in der
Reichsverfassung zugunsten Bayerns getan hat? Diese Fragen be-
antworten sich aus der bereits oben (S. 2ff.) berührten Entstehungs-
1) Im einzelnen weichen auch die Konventionen mit Baden, Hessen und Meck-
lenburg nicht unerheblich voneinander ab.