8 106. Die gesetzliche Wehrpflicht. 143
I. Die Militärpflicht.
1. Begriff. Militärpflichtig ist derjenige, welcher der Aushebung
zum Dienst im stehenden Heere oder in der Flotte unterworfen ist‘).
Die Militärpflicht ist begrifflich der Wehrpflicht ganz gleichartig. Sie
ist keine Dienstpflicht; sie enthält nicht die Obliegenheit zu Leistungen
für das Heer oder die Flotte; der Militärpflichtige gehört nicht zur
bewaffneten Macht; er unterliegt nicht der militärischen Disziplin und
Rechtsordnung. Aber die Militärpflicht ist eine Aeußerung oder ein
Teil der Wehrpflicht.
Wehrpflichtig ist jeder, welcher dem Befehl zum Dienst in
der bewaffneten Macht zu gehorchen verpflichtet ist, also auch dem
Befehl zum Dienst im Landsturm, in der Landwehr und in der See-
wehr; die Wehrpflicht umfaßt auch den aktiven Dienst selbst mit. Die
Militärpflicht ist dagegen nur ein vorübergehendes Stadium der
Wehrpflicht; sie bezieht sich nur auf die Aushebung
zumstehenden Heere und zur Flotte; sie beginnt da-
her erst mit dem Lebensalter, in welchem der Wehrpflichtige sich die
Aushebung gefallen lassen muß, und sie endet mit der definitiven
Entscheidung über die Dienstpflicht, gleichviel ob diese Entscheidung
in der Aushebung für einen Truppen- oder Marineteil, oder in der
Ueberweisung zur Ersatzreserve oder Seewehr, oder in der Ausmuste-
rung resp. Ausschließung vom Dienst besteht ?). Während die Wehr-
pflicht mit dem vollendeten 17. Lebensjahre beginnt, fängt die Militär-
pflicht erst am 1. Januar des Kalenderjahres an, in welchem der Wehr-
pflichtige das 20. Lebensjahr vollendet®). Wenn der Wehrpflichtige
schon vor diesem Zeitpunkt sich freiwillig zum Eintritt in das Heer
oder die Flotte meldet und zur Erfüllung der Dienstpflicht zugelassen
wird *), so wird er im juristischen Sinne überhaupt niemals militär-
pflichtig, da er der Aushebung nicht mehr unterworfen ist’). Wenn
andererseits ein Wehrpflichtiger die endgültige Entscheidung über seine
Dienstpflicht dadurch unmöglich macht, daß er sich vor den Ersatz-
behörden nicht zur Untersuchung stellt, so bleibt er bis zum
Erlöschen seiner Wehrpflicht fortdauernd militär-
pflichtig‘).
1) Militärgesetz $ 10. — Die Wehrordnung $ 22, Ziff. 1 definiert: „Die Militär-
pflicht ist die Pflicht, sich der Aushebung für das Heer oder die Marine zu unter-
werfen.“ Diese Definition ist juristisch nicht korrekt; denn der Militärpflichtige ist
nicht verpflichtet „sich zu unterwerfen“, sondern er ist ohne seinen Willen und ohne
sein Zutun der Aushebung unterworfen; die Militärpflicht ist ein Zustand.
2) Wehrordnung $ 28, Ziff. 4.
3) Wehrgesetz $ 6, Abs. 1; Militärgesetz $ 10; Wehrordnung $ 22, Ziff. 2.
4) Wehrgesetz $ 10; Militärgesetz $ 12 (Novelle vom 6. Mai 1880).
5) Militärgesetz $ 10; Wehrordnung 8 24, Ziff. 3.
6) Wehrordnung $ 36, Ziff. 4 Es läßt sich zwar ein bestimmter Zeitpunkt an-
geben, in welchem die Militärpflicht oder — was dasselbe ist — das militärpflichtige