Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Vierter Band. (4)

380 $ 117. Allgemeine Charakteristik und geschichtliche Entwicklung. 
Vermehrung der Einnahmen weit übersteigenden Maße. Um sie zu 
decken, nahm man Anleihen in großen Beträgen auf, deren Verzin. 
sung das Defizit noch steigerten, und erhöhte die Matrikularbeiträge, 
d. h. man legte die Deckung des Defizits den Einzelstaaten auf. Bei 
den fortdauernd und schnell anwachsenden Ausgaben des Reichs 
konnte diese Art der Deckung nicht dauernd bestehen; die Bundes- 
regierungen beantragten daher 1879 eine starke Erhöhung der Zölle 
und der Tabaksteuer. Die Majorität des Reichstags machte die Be- 
willigung derselben aber davon abhängig, daß in das Gesetz die Fran- 
kensteinsche Klausel aufgenommen wurde d. h. die Bestimmung, 
daß derjenige Ertrag der Zölle und der Tabaksteuer, welcher die 
Summe von 130 Mill. Mark in einem Jahre übersteigt, den einzelnen 
Bundesstaaten nach Maßgabe der Bevölkerung, mit welcher sie zu 
den Matrikularbeiträgen herangezogen werden, zu überweisen ist. Die- 
selbe Bestimmung ist dann aufgenommen worden in die Reichsstem- 
pelsteuergesetze vom 1. Juli 1881 und 27. April 1894 und in das 
Branntweinsteuergesetz vom 24. Juni 1887. Die unmittelbare Wirkung 
dieser Bestimmungen bestand darin, daß die Gesamterträge dieser Ab- 
gaben zwar in die Reichskasse flossen, daß davon aber nur 130 Mill. 
Mark zur Bestreitung der Reichsausgaben zur Verfügung blieben, der 
gesamte Mehrbetrag dagegen unter die Einzelstaaten verteilt und der 
zur Deckung der Reichsausgaben erforderliche Betrag von ihnen wie- 
der (als Matrikularbeitrag) zurückgefordert wurde. Diese Einrichtung 
stand im Widerspruch mit Art. 38 und mit Art. 70 der Reichsverfas- 
sung. Nach dem Art. 38 fließt der Ertrag der Zölle und Abgaben in 
die Reichskasse, also nicht in die Landeskassen ; nach der Franken- 
steinschen Klausel fließt er nach Zurücklassung eines Niederschlags 
von 130 Mill. Mark durch die Reichskasse in die Landeskassen. Nach 
Art. 70, Satz 1 der Reichsverfassung findet keine Verteilung der Reichs- 
einnahmen statt, sondern Ueberschüsse eines Jahres sind in den Etat 
des folgenden einzusetzen, nach der Frankensteinschen Klausel blieben 
die Ueberweisungen, soweit sie die Matrikularbeiträge überstiegen, in 
den Kassen der Einzelstaaten. Nach Art. 70, Satz 2 sollten Matriku- 
larbeiträge nur gezahlt werden, solange Reichssteuern nicht einge- 
führt sind, also nur eine vorübergehende Aushilfe sein. Die 
Frankensteinsche Klausel hat diesen Verfassungsgrundsatz in sein Ge- 
genteil verkehrt; es sind Reichssteuern eingeführt worden und zwar 
weit über das damalige Bedürfnis des Reichs, die Matrikularbeiträge 
sind aber nicht weggefallen, sondern zu einer fortdauernden Einrich- 
tung, zum wichtigsten Deckungsmittel der Bedürfnisse des Reichs ge- 
macht worden. Die Frankensteinsche Klausel war sonach eine tief 
eingreifende Abänderung der Reichsverfassung, obgleich sie den Wort- 
Jaut derselben unverändert ließ. Sie war aber nicht nur verfassungs- 
widrig; sie erwies sich auch verhängnisvoll in ihren Wirkungen. An 
die Stelle einer Trennung der Finanzwirtschaft des Reichs von der der
	        
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