602 Nachträge. I. Das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. Juli 1913.
Infolge der beiden Gesetze vom 22. Juli 1913 ist auch die deutsche
Wehrordnung durch Kaiserlichen Erlaß vom 31. März 1914 (Zentralbl.
S. 249 ff) abgeändert worden.
Der Inhalt des Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1913 ist nicht
durchweg neu, sondern zum großen Teil dem Gesetz vom 1. Juli 1870
entnommen. Das Grundprinzip, daß die Staatsangehörigkeit das pri-
märe Verhältnis ist, welches mit rechtlicher Notwendigkeit die Reichs-
angehörigkeit zur Folge hat, ist beibehalten worden. Wer einem
deutschen Staat angehört, ist immer zugleich reichsangehörig; davon
gibt es keine Ausnahme. Siehe Bd. I, S. 138. Dagegen ist der Grund-
satz, daß die Angehörigkeit zu einem deutschen Staate die notwendige
Voraussetzung der Reichsangehörigkeit ist, zwar als die Regel anerkannt;
aber es ist, wie auch im früheren Recht, für besondere Fälle eine Aus-
nahme, d.h. eine unmittelbare Reichsangehörigkeit zugelassen. Dem-
gemäß hat $ 1 die Fassung erhalten: »Deutscher ist, wer die Staats-
angehörigkeit in einem Bundesstaat oder die unmittelbare Reichs-
angehörigkeit besitzt.«
Es ist ferner das Abstammungsprinzip mit starrer Konsequenz bei-
behalten worden und zwar auch im Verhältnis der Bundesstaaten
untereinander. Die Staatsangehörigkeit vererbt sich von Geschlecht zu
Geschlecht ohne Rücksicht auf den Ort der Geburt, auf den Wohnsitz
der Eltern und den eigenen Wohnsitz und ohne Zeitbegrenzung. In
vielen Fällen hat man keine Ahnung, daß man einem deutschen Staate
angehört, in dessen Gebiet die Familie, der man entstammt, seit Gene-
rationen weder Wohnsitz noch Aufenthalt gehabt hat. Vgl. Bd. I, S. 163.
Endlich ist die gleichzeitige Angehörigkeit zu mehreren Bundes-
staaten zugelassen. Sie kann infolge des Vererbungsprinzips in sehr
zahlreichen Fällen eintreten, ohne daß es den Personen bekannt oder
bewußt ist. Um die mit der mehrfachen Staatsangehörigkeit ver-
bundenen Mißstände zu beseitigen, hat das neue Gesetz aber die Bestim-
mung getroffen, daß der Verlust der Staatsangehörigkeit in einem
Bundesstaat in der Regel den Verlust in allen Bundesstaaten bewirkt,
soweit dies nicht im Falle des $20 durch einen Vorbehalt ausgeschlossen
wird.
Das Gesetz bestimmt im $ 2: »Elsaß-Lothringen gilt im Sinne
dieses Gesetzes als Bundesstaat«. Durch diese Fiktion wird der Be-
griff der elsaß-lothringischen Landesangehörigkeit, der den der Staats-
angehörigkeit vertrat, unanwendbar. Siehe Bd. 2, S. 220. Derselbe $ 2
enthält die weitere Bestimmung, daß die Schutzgebiete im Sinne dieses
Gesetzes als Inland gelten '.. Diejenigen Bestimmungen des Gesetzes,
welche den Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt im Gebiete eines
Bundesstaates zur Voraussetzung haben, finden daher auf die
Schutzgebiete keine Anwendung; denn wenn diese auch als Inland
1) Siehe hierzu Piloty S. 8%.