$ 99. Die Militärhoheitsrechte der Einzelstaaten. 67
in Uebereinstimmung gebracht worden. So wie die bürgerlichen
Gerichte mit Ausnahme des Reichsgerichts landesherrliche Gerichte
sind, so sind die Militärgerichte mit Ausnahme des Reichsmilitärgerichts
kontingentsherrliche Gerichte ').
Auch die Disziplinargewalt und Disziplinargerichtsbarkeit steht
den Kontingentsherren hinsichtlich ihrer Truppen zu.
Der Gerichtsbarkeit entspricht das Begnadigungsrecht;
dasselbe steht daher demjenigen Kontingentsherrn zu, dessen Militär-
gericht das Strafurteil gefällt hat; durch die Militärkonventionen ist
jedoch in gewissem Grade eine Rücksichtnahme auf das Untertanen-
verhältnis des Verurteilten ausbedungen worden. (Siehe unten S. 76.)
3. Die Militärverwaltung. Es gibt keine unmittelbare Reichs-
verwaltung, sondern nur Kontingentsverwaltungen, welche materiell
gemäß den in den vorhergehenden Paragraphen entwickelten Grund-
sätzen durch die Anordnungen des Reiches gebunden sind, formell
aber von den Einzelstaaten geführt werden. Es gibt daher auch kein
Reichs-Kriegsministerium, sondern Landes-Kriegsministerien der vier
Bundesstaaten mit eigener Kontingentsverwaltung. Die Kriegsminister
sind Landesbeamte und als solche weder dem Kaiser noch dem
Reichstage verantwortlich, sondern ihrem Landesherrn und dem
Landtage?). Soweit die Kontingentsverwaltungen durch die Reichs-
gesetze, die Anordnungen des Kaisers, die Beschlüsse des Bundesrates
und die Ansätze des Reichsetats gebunden sind, geht die Verantwort-
lichkeit der Kriegsminister darauf, daß sie diesen Vorschriften
gemäß verwalten, und nur soweit diese Schranken einen freien
1) Ueber die Behauptung von Brockhaus S. 128, daß „die Militärgerichte
nicht für den Einzelstaat, sondern für das Reich fungieren“, die auf die haltlosesten
Gründe gestützt wird, siehe Archiv für öffentliches Recht Bd.3, 8.585. Vgl.
die zutreffenden Ausführungen von Guderian im Arch. d.öffentl.R. Bd. 19, S. 476 fg.
2) Wenn Meyer, Verwaltungrecht Il, S. 41 (Meyer-Dochow S. 512) und
Brockhaus S8.127fg. (ähnlich Schulze II, S.288 und Bornhak 8.45) dagegen
die Behauptung aufstellen, die Militärverwaltung sei eine Reichsverwaltung,
für welche es aber keine Reichsbehörden gebe, so bestätigt dies nur, daß
sie von dem Standpunkte aus, von welchem sie die Militärverfassung betrachten,
alles verkehrt sehen. Der Kriegsminister von Sachsen oder Württemberg, der
von semem Könige ernannt oder entlassen wird, der niemals Vortrag beim Kaiser
hat, der niemals eine kaiserliche Anordnung kontrasigniert, der niemals an den Ver-
handlungen des Reichstags teilzunehmen befugt ist, wenn er nicht Bevollmächtigter
zum Bundesrat ist, soll den Organen des Reichs, dem Kaiser und Reichstag verant-
wortlich sein, weil er — die Reichsgesetze und Reichsverordnungen ebenso gut zu
beobachten und auszuführen hat, wie seine Kollegen der Justizminister, Finanzminister
und Minister des Innern! Die richtige Ansicht wird anerkannt in einer Denk-
schrift des Reichskanzlers im Archiv für öffentliches Recht Bd. 4, S. 150 fg.
und in dem Urteil des Reichsgerichts vom 9. März 1888 (Entscheidungen in
Zivilsachen Bd. 20, S. 150 fg.). Vgl. auch den Bericht der Rechnungskom-
mission des Reichstages. Session von 1889/90 Nr.126, S.7 fg. und 12 fg. Ferner
Seydelin Hirths Annalen 1875, S. 1396; Joälebendaselbst 1878, S. 786 und besonders
1888, S. 837 fg.; Hecker in v. Stengels Wörterbuch I, S. 97.