86. Die völkerrechtliche Handlungsfähigkeit. 53
Die wichtigsten halbsouveränen Staaten sind heute:”)
a) Unter der Oberherrlichkeit der Türkel:
Ägypten, seit dem Vertrag zwischen England, Rußland, Öster-
reich, Preußen vom 15.Juli 1840 (Beitritt Frankreichs am 10. Juli
1841) und den Firmanen von 1841 und 1873, trotz der Schmälerung
der Ägypter eingeräumten Rechte durch den Firman von 1879 (er-
neuert 1892). An dieser Rechtslage ist auch weder durch die Be-
setzung Ägyptens durch England (1882) noch durch das englisch-
französische Übereinkommen von 1904 (oben S. 29) rechtlich etwas
geändert worden, wenn auch tatsächlich England an die Stelle der
Türkei getreten ist. Dagegen besitzt England kraft des Rechtes der
Eroberung gemeinschaftlich mit Ägypten die volle Souveränität über
den Sudan?®).
b) Unter der Oberherrlichkeit Frankreichs:
a) In Hinterindien die Königreiche Kambodja (Verträge von 1863
und 1884) und Anam (Verträge von 1874 und 1884)?).
3) Tunis nach dem von Frankreich erzwungenen Vertrag mit dem
Bey zu Casr el Bardo vom 12.Mai 1881 und dem Vertrag zu La Marsa
vom 8.Juni 1883 (Fleischmann 168)1°).
7) Monaco ist seit der Mitte des 19. Jahrhunderts trotz seiner engen Be-
ziehung zu Frankreich ein unabhängiger Staat. Vgl. oben $ 1 Note 4 und
K.Z. VI 371 (Verfassung vom 5. Januar 1911). — Andorra, das unter dem
Schutze von Frankreich und dem Bischof von Urgel steht, und meist als halb-
souverän genannt wird, ist überhaupt kein Staat. — Die Unabhängigkeit Kubas
*ist durch die mit den Vereinigten Staaten Amerikas vereinbarte Verfassung vom
21. Februar 1901 (in Kraft seit 20. Mai 1902) mit Zusatz vom 12. Juni 1901 sowie
durch den permanent treaty vom 22. Mai 1%3 (N.R.G. 2. s. XXXIl 79) an-
erkannt; doch ist den Vereinigten Staaten ein weitgehendes Interventionsrecht
sowie das Recht, Kohlen- und Schiffahrtsstationen zu errichten, eingeräumt. —
Samos war nach den Firmanen von 1832 und 1849, Kreta nach der Verfassung
von 1889 halbsouverän unter türkischer Oberherrschaft. Der Londoner Frieden
vom 30. Mai 1913 Art. 4 hat die Angliederung beider Inseln an Griechenland
gebracht. Vgl. Albrecht, K. Z. 156 (Samos). Cavaglieri Jahrbuch II 356.
Reinach, La question crötoise. 1910.
8) Vgl. oben $3 Notel8. Der Firman von 1892 ist abgedruckt N. R. G.
2. 8. XXVII 162, Strupp IIl32, Orient 216. Die französischen Schriftsteller
(so M&rignhac II 113, 194, Morel R. G. XIV 405) betrachten Ägypten als einen
unter englischem Schutz stehenden Staat. Für den Text v. Mayer sowie Lamba,
R.G. XVI1 36. Als autonome türkische Provinz wird es angesehen von Des-
pagnet 164, Strupp 1227 Notel. Nach v. Dungern ist Ägypten ein souveräner
Staat. — Am 19. Dezember 1914 hat England seine Schutzherrschaft über Ägypten
erklärt und es damit zum Kriegsschauplatz gezogen; dieser einseitige Akt ist
selbstverständlich ohne verbindliche Kraft. — Über den Sudan vgl. $3 Note 18.
9) Über Frankreichs Verhältnis zu Siam vgl. R.G. XI 459.
10) Proteste der Türkei bei Strupp Orient 178. — Hofstetter, Vor-
geschichte des französischen Protektorates in Tunis. 1914. Rouard de Card,
La Turquie et le protectorat francais en Tunisie. 1916.