Die Erziehung des weiblichen Geschlechts. 269
Die in diesen Beziehungen nöthigen Verbesserungen zu erörtern, wäre also
jedenfalls an der Stelle; es kommt aber in neuester Zeit noch dazu, dass
für die Weiber Ansprüche auf Beschäftigungen gemacht werden, welche
bisher als ganz unzweifelhafte Thätigkeitskreise der Männer gegolten haben.
Sollte hieran etwas Wahres sein, so ist einleuchtend, dass vor Allem die
weibliche Erziehung entsprechend erweitert und verändert werden muss.
L Aufgabe.
Sieht man zunächst noch von den eben erwähnten neuen Forderungen
in Betreff der Lebensbestimmung der Frauen ab, so kann die von der
Erzieliung des weiblichen Geschlechtes zu lösende Aufgabe leicht und un-
zweifelhaft formulirt werden. Wenn nämlich, wie selbstverständlich, auch
hier die Vorbereitung für die künftige wahrscheinliche Lebensstellung das
Ziel der Erziehung sein muss, so ergiebt sich daraus, dass ausser der all-
gemeinen religiösen und sittlichen Bildung, welche jedem Menschen, sei es
Mann oder Frau, gebührt, vorzugsweise und als Hauptaufgabe die natür-
liche Lebensbestimmung des Weibes: Gattin, Mutter und Hausfrau zu
werden, ins Auge zu fassen ist.
In zweiter Linie kommen sodann die Kenntnisse und Fertigkeiten,
welche den verschiedenen Schichten der Gesellschaft, je nach deren Bildungs-
and Vermögonsverhältnissen entsprechen, so dass die Frau ihre Stellung
in der ihr zufallenden Familie würdig und für sich so wie für Andere
befriedigend ausfülle.
Die sich hieraus ergebenden Folgerungen für die zur Erziehung des
weiblichen Geschlechteg bestimmten Unterrichtsanstalten sind mehrfacher Art.
Zanächst ist einleuchtend, dass — im Gegensatze mit den Schulen für
Knaben und Jünglinge — in der Erziehung der Mädchen eine Verschieden-
heit nicht der Art, sondern nur dem Grade nach stattfinden kann. Auch
da von Cuitur reden, wo absichtiich die Mädchen nicht im Schreiben unterrichtet werden, da-
mit sie nicht später Liebesbriefe schreiben? Offenbar ist hier selbst bei uns noch Vielen,
anderwärts noch Alies zu Ihun. — Dabei sei Jedoch dem Missverständnisse ontgegengetreten,
als sei die Absicht, einer flunkernden Vielwisserei oder einem geschmacklosen Blaustrumpf-
wesen das Wort zn reden nnd cine Bahn zu eröffnen. Gerade im Gegentheile soll durch eine
vernünftige, das heisst anf den wahren Zweck borschnete, Bildung des Weibes nicht nur der
Unwissenheit und HRobheit, sondern eben so sehr dem fulschen und hohlen Schimmer von
Caltar entgegengetreten werden. Anch Ist die amerikanische Vergötterung der „Ladies“ und
er Spielpuppenleben nichts weniger als unser Ideelles Ziel. Diese mag in dem Lande einer
noch sehr unvolikommenen Durchblidung nnd eines allgemein verbreiteten banansischen Trei-
bens der Männer ein gerechtfertigtes Dasein haben, eine nothwendige Correctur sonst uner-
träglich rober Zustände sein; allein an und für sich ist es ein ungesunder Zustand, welcher
im Grunde weder den Frauen noch den Männern frommt, nnd der auch wohl bei einstiger
vormaler Bilidung allmählig wieder wegfallen wird. Die Frau soli nicht die Sklavin des
Mannes sein, aber auch nicht seine Herrin, sondern seine Genossin; es ist unrecht und bar-
berisch, sie in Unwisseuheit verkommen zn lassen; allein zu einem biosen zwecklosen Schmet-
terlingsdasein Ist sie auch nicht vorhanden.