Full text: Geheime Mächte - Internationale Spionage und ihre Bekämpfung im Weltkrieg und heute.

Kriegsvorbereitung 0 
war, störte ihn in seiner Tätigkeit ebensowenig wie den jeweiligen russi- 
schen Militärattaché die Tatsache, daß er der Person des deutschen 
Kaisers in besonderer Stellung attachiert war. Im Gegenteil förderte 
dies das Treiben der Genannten dadurch, daß es ihnen bei der Ein- 
stellung der deutschen Behörden einen Nimbus verlieh, gegen den schwer 
anzukämpfen war. 
Alle deutschen Behörden verlangten erst vollgültige Beweise, ehe sie 
einschritten, anstatt daß sie beim geringsten Verdacht eingriffen und 
die Beweise erbrachten, zum mindesten jede Möglichkeit der Spionage 
durch rücksichtsloses Einschreiten verhinderten. Auch die Tätigkeit der 
deutschen Polizei krankte daran, daß sie Spione fangen und überführen 
wollte, anstatt daß sie sich in erster Linie berufen fühlte, der Spionage 
die Wege zu verlegen. Damit die Spionage nicht merken sollte, daß 
man ihr auf der Spur war, fand das ganze Vorgehen unter Ausschluß 
der Offentlichkeit statt. Auf diesem Wege gelang es wohl, zahlreiche 
Spione und Landesverräter strenger Strafe zuzuführen, aber der Schutz 
der Geheimnisse blieb unvollkommen. Der feindliche Nachrichtendienst 
wurde geschädigt, aber ihm wurde nicht vorgebeugt. 
Die Kühnheit der russischen Spionageorgane in Deutschland ging da- 
bei so weit, daß sie den Schutz deutscher Polizei gegen die sie beobach- 
tenden anstatt zugreifenden Kriminalbeamten und gegen mißtrauisch 
werdendes Publikum in Anspruch nahmen. Das Schicksal hat den oben- 
genannten Oberst von Mjassojedoff deshalb nicht auf deutschem Boden, 
sondern erst später in seinem eigenen Vaterlande erreicht. Während 
des Krieges wurde er in Petersburg wegen Landesverrats zugunsten 
Deutschlands hingerichtet. Das Urteil war, wie so viele unter gleicher 
Anklage ergangene, ein Fehlurteil. Niemals hat er Deutschland Dienste 
geleistet. Da mich der Fall interessierte, habe ich versucht, die Ursache 
des Urteilo festzustellen. Es scheint, daß der Oberst seiner Vorliebe für 
Frauen zum Opfer gefallen ist und daß die erhobene Beschuldigung nur 
der im Kriege besonders wirksame Vorwand gewesen ist, ihn als Neben- 
buhler einer anderen hochgestellten Persönlichkeit zu beseitigen. 
Diesem russischen stand bis 1906 ein deutscher Nachrichtendienst 
gegenüber, der in Berlin über einen Generalstabsoffizier und an der 
Grenze nur über einige völlig unzulängliche inaktive Nachrichtenoffiziere 
verfügte. Während der russische Nachrichtendienst mit fast unbeschränkten 
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