Kriegsnachrichtendienst in den neutralen Ländern 61
sächlichsten Mitarbeiter waren der Bankier Georges Clairin, der Groß-
industrielle Breuvart und der Prokurist Dreyfus, von Schweizern der
Direktor der Reitschule in Bern, eine Anzahl Schweizer Kaufleute und
der Inhaber einer Auskunftei, ferner Angestellte in Schweizer Hotels,
die als Briefvermittler dienten und die Briefschaften der Hotelgäste nach
Nachrichten über Deutschland durchsuchten. Diese Gruppe machte auch
den Versuch, die Longawerke bei Rheinfelden zu zerstören, durch Brand-
bomben nach Deutschland bestimmte Eisenbahnzüge zu vernichten und
Gift in die Wagen zu streuen, die Vieh aus der Schweiz über die deutsche
Grenze transportieren sollten. Der Betrieb auf Schweizer Boden ging
so dreist vor sich, daß er nicht lange geheim bleiben konnte. Die Leiter
des Unternehmens wurden verhaftet, Graf Mougeot selbst gegen Ehren-
wort aus der Haft entlassen. Unter Bruch desselben flüchtete er auf
das französische Ufer des Genfer Sees, von wo er seine Tätigkeit
fortsetzte. 21 seiner Mitarbeiter standen im Mai 1918 vor Schweizer
Gerichten, darunter der Berner Rechtsanwalt Dr. Rudolf Brüstlein,
der nach der Flucht des Grafen Mougeot die Leitung übernommen hatte.
Eine Anzahl der Angeklagten erhielt wegen ihrer gleichzeitig gegen die
Schweiz ausgeübten Spionage langjährige Zuchthausstrafen.
Eine zweite Gruppe, die von Genf aus geleitet wurde, stützte sich nur
auf Schweizer Staatsangehörige. Ihre Fäden liefen bei dem französi-
schen Militärattaché in der Hand von dessen Adjutanten zusammen.
Im Jahre 1917 führte die Postüberwachung in Deutschland zu der
Feststellung, daß auf Jeitungen, die von Deutschland nach der Schweiz
gingen, Spionagemitteilungen außerordentlich wichtigen Inhalts mit
chemischer Tinte befördert wurden. Die zuerst aufgefangene Lieferung
trug die Nummer 79, so daß bereits 78 Meldungen ungehindert in die
Hände des Feindes gelangt waren. Nachdem die Adresse der Sendungen
bekannt war, gelang es, die in kurzen Zeitabständen folgenden weiteren
Berichte abzufangen. Aber erst durch langwierige Nachforschungen ge-
lang es, die Organe des feindlichen Nachrichtendienstes zu ermitteln.
Es waren ein Gerichtsassessor a. D. Dr. Roß in Frankfurt am Main
und zwei Militärpersonen, von denen die eine an der Wesifront, die
andere im Telegraphenamt in Mainz für den französischen Nachrichten-
dienst tätig waren. Diese drei wurden zum Tode verurteilt. Ihre Ver-
führer und Mittelsleute in Genf erhielten durch Schweizer Gerichte
Gefängnisstrafen.