Kriegsnachrichtendienst in den neutralen Ländern 73
sache für Deutschland ist, so muß sie doch hervorgehoben werden, weil
sie den Vorsprung und die ungeheuere Arbeit des Ententenachrichten-
dienstes in Deutschland grell beleuchtet.
Der Krieg zeigte seine zersetzenden Wirkungen am schnellsten in Ruß-
land, aber auch in Frankreich und selbst in England, so daß der deutsche
Nachrichtendienst überall wenige aber gute Beziehungen fand. Im neu-
tralen Auslande konnte er sich nur äußerst vorsichtig bewegen und nicht
im entferntesten daran denken, das vom Feindbund besetzte Gebiet zu
erobern. Die Deutschen im neutralen Ausland, auf die der Generalstab
im Frieden gewisse Hoffnungen gesetzt hatte, zeigten guten Willen, aber
es erwies sich, daß guter Wille allein nicht ausreicht, wenn die An-
leitung durch die amtlichen Vertretungen des Heimatlandes fehlt. Es
wurde immer mehr und mußte schließlich ganz auf diese Hilfe verzichtet
werden. Während also Deutschland in dieser Richtung abbaute, ge-
staltete die Entente den Nachrichtendienst durch ihre Staatsangehörigen
in den neutralen Ländern unter Leitung der amtlichen Vertreter aus.
Spionageorganisationen im neutralen Auslande, wie ich sie auf seiten
der Entente in großer Anzahl anführen konnte, waren für Deutschland
ein Ding der Unmöglichkeit. Seine „Kriegsnachrichtenstellen“ lagen auf
deutschem Boden längs der Grenzen zum neutralen Auslande. In jeder
von ihnen waren nur wenige Offiziere beschäftigt, möglichst nicht Berufs-
offiziere, sondern solche des Beurlaubtenstandes aus Kreisen, die das.
Ausland kannten. Nur die Leitung der Kriegsnachrichtenstellen lag in
der Hand von aktiven, besonders ausgebildeten Nachrichtenoffizieren.
Im Großen Hauptauartier leitete unter dem Chef der Abteilung III. B.
ein Stabsoffizier des Generalstabs mit zwei Mitarbeitern den „geheimen
Nachrichtendienst“. Auch hieraus ergibt sich, welche jedenfalls im Um-
fang beschränkte Rolle die eigentliche Spionage innerhalb des deutschen
militärischen Nachrichtendienstes spielte.
Auf den Weltkrieg war Deutschland nicht eingestellt gewesen. Aber
auch alle militärischen Studien für den Fall eines kommenden Krieges
bewegten sich nicht in dem Rahmen der späteren Wirklichkeit. Das
amerikanische Heer hatte im Frieden für den Generalstab mehr ein
theoretisches Interesse gehabt. Seine Entwicklung wurde beobachtet,
soweit dies nach der Presse und den Berichten des Militärattachés in
Washington möglich war. Die gewissenhafte Arbeit des Generalstabs
gewährleistete ein zuverlässiges Bild über die amerikanische Armee.