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seiner Mutter Anna eine ausgezeichnete Erziehung genossen und auch
sein Vater hatte ihn frühzeitig an den Regierungsgeschäften Theil
nehmen lassen. In den Regierungswissenschaften unterrichtete ihn
der Hofrath Dr. Crell. Dieser Mann wußte sich später das Ver—
trauen seines Schülers, als er Kurfürst geworden war, in einem
außerordentlich hohen Grade zu verschaffen. Der neue Kurfürst war
nämlich seinem ausgezeichneten Vater nicht in allen Stücken ähnlich,
namentlich widmete er seine Zeit den Regierungsangelegenheiten nicht
so sorgfältig wie sein Vater. Verschiedene Bauwerke') nahmen
hauptsächlich seine Aufmerksamkeit in Anspruch; in den übrigen Re-
gierungsangelegenheiten schenkte er seinem Hofrath Dr. Crell, der
bald nachher Kanzler wurde, ein zu großes Vertrauen.
Dr. Crell war ein hochbegabter Mann und hätte er seine
Fähigkeiten und Gaben nur zum Wohle seiner Mitmenschen ange-
wendet, so würde er sich auf alle Zeiten den Dank der Sachsen ge-
sichert haben. Schon als Jüngling zeigte er in seinem Wesen einen
Starrsinn, der nichts Gutes erwarten ließ. So meinte z. B. der
Rektor der Fürstenschule zu Grimma, welche Anstalt Crell besuchte,
dieser Schüler würde einst eine Pest des Vaterlandes werden, welche
Prophezeiung leider in mancher Hinsicht in Erfüllung ging. Als
Crell als Kanzler die höchste Staatsstelle im Lande bekleidete, suchte
er die Leitung fast aller Angelegenheiten im Staate, in Kirche und
Schule an sich zu reißen. Er bekannte sich zur reformirten Kirche
und da bot er zunächst Alles auf, die lutherische Lehre und ihre Be-
kenner zu verdrängen und die reformirte dafür einzuführen. Um
seinen Zweck zu erreichen, bedrohte er diejenigen Geistlichen mit Amts-
entsetzung, welche auf der Kanzel für Erhaltung der lutherischen
Kirche eiferten und sich gegen Einführung des reformirten Glaubens-
bekenntnisses erklärten.
Crell ließ es bei Drohungen nicht bewenden; so wurden z. B.
die Superintendenten in Leipzig und Pirna wirklich abgesetzt und der
Oberhofprediger in Dresden (Dr. Mirus) sogar als Gefangener auf
den Königstein gebracht. Ließ denn dies der Kurfürst zu? Dr. Crell
hatte sich das Vertrauen seines Herrn in einem so hohen Grade zu
erwerben gewußt, daß er sich die größten Gewaltmaßregeln erlauben
konnte. Nicht selten bestürmte er den Kurfürsten geradezu, um zu
den Verordnungen und Befehlen seine Unterschrift zu erlangen. Sehr
oft benutzte er die Zeit kurz vor Tische und während der Mahlzeit,
um dem Kurfürsten die „verdrüßlichsten“ Sachen vorzutragen; ja er
soll ihm sogar manchmal mit Tinte und Feder in die Kirche nach-
*) Da viele Bauwerke von den späteren Fürsten erst vollendet, oder
umgestaltet und verschönert wurden, so wird, um den Zusammenhang nicht
zu zerreißen, das Wichtigste hiervon später in fortlaufender Darstellung
mitgetheilt werden.