20 8 10. Der Reichstag und seine Zuständigkeit.
b. Nach Art. 73 der Reichsverfassung kann in Fällen eines
außerordentlichen Bedürfnisses im Wege der Reichsgesetz-
gebung die Aufnahme einer Anleihe, sowie die Uebernahme
einer Garantie zu Lasten des Reiches erfolgen.
c. Hieher gehören auch noch die Bestimmungen des Art. 41,
Abs. I und 76, Absatz II der Reichsverfassung; ferner
d. die Fälle, in welchen in einem Reichsgesetze die weitere
Regelung der betreffenden Materie wieder „durch Reichsgesetz"
vorbehalten ist.
Verschieden von der Gesetzgebung des Reichstages ist die in
einzelnen Fällen vorbehaltene (meist nachträgliche) Genehmigung
desselben. Ein solcher Fall ist durch Art. 11, Absatz 3 der Reichs-
verfassung bezüglich der Verträge mit fremden Staaten gegeben, welche
sich auf solche Gegenstände beziehen, die nach Art. 4 der Reichsver-
fassung in den Bereich der Reichsgesetzgebung gehören. Ferner ist
hieher zu zählen die in mehreren Reichsgesetzen vorkommende Bestimm-
ung, daß sog. Ausführungsverordnungen vorbehaltlich der Genehmig-
ung Seitens des Reichslages vom Kaiser oder vom Bundesrate er-
lassen werden dürfen.
Weiter ist dem Reichstage in mehrfachen Fällen das Recht ein-
geräumt, von der Thätigkeit der anderen Reichsorgane Kenntnis zu
erhalten, so daß dementsprechend die Reichsregierung verpflichtet ist,
an den Reichstag Bericht zu erstatten: doch besteht eine solche Pflicht
zur Berichterstattung nur, wo dieselbe durch Gesetz vorgeschrieben ist.
Endlich ist noch der Reichstag durch Art. 23 der Reichsver-
fassung befugt, „an ihn gerichtete Petitionen dem Bundesrate resp.
Reichskanzler zu überweisen."
Zu diesen staatsrechtlichen Befugnissen der Gesetzgebung, der
Genehmigung, der Kenntnisnahme und des Petitionsrechtes kommt
für den Reichstag noch das ihm durch Art. 27 der Reichsverfassung
garantierte Recht: die Legitimationen seiner Mitglieder zu prüfen, seinen
Geschäftsgang und seine Disziplin durch eine Geschäftsordnung zu
regeln und seinen Präsidenten, Vicepräsidenten und Schriftführer zu
wählen, ferner die Bestimmung des Art. 26 der Reichsverfassung.
Nach § 156 des Gesetzes vom 31. März 1873, die Rechts-
verhältnisse der Reichsbeamten betreffend (Reichsgesetz-Blatt S. 90
und Web. 9, 744) stellt der Reichstagspräsident die Reichstagsbeamten.
auf und ist die vorgesetzte Behörde derselben.
Im Uebrigen siehe über den Geschäftsgang des Reichstages und
seine Befugnisse 2c., sowie die Rechte 2c. der Reichstagsmitglieder
Art. 20 bis 32 der Reichsverfassung und die Geschäftsordnung für
den Reichstag, letztere abgedruckt in Pröbst's Commentar zur Reichs-
verfassung 1895, S. 174—191.