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Berlin, 9. Dezember 1885.
Unterredung mit dem Minister v. Mittnacht, be-
treffend den deutschen Kronprinzen, den Reichs-
tag, Osterreichs Orientpolitik.“
Bismarck: „Es geht mir nicht zum Besten, der Gesichts-
schmerz verläßt mich nicht; überdies ist mir der Reichstag in
das Bein gefahren, ich bin zu lange gestanden und habe
nachher ein heftiges Pferd geritten.
Gestern habe ich mich bei den Kronprinzlichen Herr-
schaften, bei welchen mit einem Wechsel der Umgebung
manches anders geworden ist, nicht schonen können. Bei dem
Kaiser kann ich ja ruhig für alles danken, bei dem Kron-
prinzen das eine Mal im Jahre — nicht. Mit der liberalen
Aera scheint es bei den Herrschaften ein Ende zu haben, sie
werden wohl lieber Hammer als Amboß sein, und wenn der
Kronprinz einmal um seine Stellung besorgt sein würde,
so wäre von ihm ein rasches und sehr entschiedenes Handeln
zu erwarten. Der Kaiser ist überlegter. Der Kronprinz hat
eine große Eigenschaft: unerschütterlichen Mut. Den hat
zwar der Kaiser auch; er ist aber mehr Steuermann. Schon
im Frühjahr hat der Kronprinz mit mir wegen meines Ver-
bleibens im Amte gesprochen; ich habe meine Bedingungen
namhaft gemacht und damals schon mich überzeugt, daß bei
ihm das Ideal des Liberalismus so wie früher nicht mehr
besteht. —
Der Reichstag zeigt ein recht übles Gesicht. Wenn es so
fortgeht, hat man bald keinen Rechtsboden mehr unter den
Füßen. Schließlich könnten die deutschen Fürsten finden, daß
es eine Illusion gewesen, Deutschland parlamentarisch regieren
zu können. Den Reichstag kann man eher entbehren als die
*) Nach Mittnachts Bismarck-Erinnerungen, Neue Folge
S. 43.