Nr. 80. 1914. 527
Aufruf.
Aus Rußland ausgewiesene und aus den von Rußland bedrohten Landes-
teilen geflohene deutsche Familien werden voraussichtlich in allernächster Zeit
in größerer Zahl nach Mecklenburg= Schwerin kommen. Viele von ihnen
werden mittellos sein. Diesen durch den Krieg auf das Schwerste betroffenen
Deutschen muß nachhaltig geholfen werden. Der öffentlichen Armenpflege
dürfen sie, wenn irgend möglich, nicht anheimfallen.
Ich fordere die Mecklenburger in Stadt und Land auf, diesen vertriebenen
Landsleuten unentgeltlich Obdach und Nahrung zu gewähren. Den Flücht-
lingen Lohn und Arbeit zu beschaffen, wird nur ausnahmsweise gelingen;
dazu sind zu zahlreiche Arbeitskräfte im Lande vorhanden. Wer sich der
Flüchtlinge annimmt, muß es aus reiner Nächstenliebe tun. Um der Flücht-
ug willen wird keinem Arbeiter im Lande der Verdienst entzogen werden
ürfen.
Der zur Durchführung meines Aufrufs vom 4. August d. Is. gebildete
Landesausschuß wird die Leitung der Flüchtlingsfürsorge übernehmen. Die
Ortsausschüsse an den Sitzen der Amtsgerichte und die Zweigvereine des
Landesvereins vom Roten Kreuz und des Marien-Frauen-Vereins werden
den Landesausschuß unterstützen. Die Einrichtung besonderer Beratungsstellen
ist für die Städte beabsichtigt, an denen wahrscheinlich Flüchtlinge in größerer
Zahl sich einfinden werden.
Wer bereit ist, Flüchtlingen Obdach und Nahrung zu gewähren, wolle
sein Anerbieten dem Ortsausschuß seines Amtsgerichtsbezirks, zu Händen des
Magistrats, im Amtsgerichtsbezirk Dargun des Großherzoglichen Amtes mit-
teilen. Dabei wird anzugeben sein, wieviele Personen aufgenommen werden
können und wieviel Raum zur Verfügung gestellt wird.
Wie groß die Opserwilligkeit unseres Landes ist, hat diese Kriegszeit
wiederum bewiesen. Ich hoffe, daß die werktätige Nächstenliebe der Mecklen-
burger auch dieser neuen großen Aufgabe gerecht werden wird.
Wiligrad, den 29. August 1914.
Johann Albrecht,
Herzog zu Mecklenburg.