8 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 14./16.)
Die geplanten Kanalbauten werden für den weiteren Aufschwung
der Binnenschiffahrt Deutschlands von großer Tragweite sein. Die Trans-
portkosten, namentlich für Massengüter, werden sich bei der Inanspruch-
nahme der neuen Wasserstraßen sehr beträchtlich verbilligen und dadurch
der deutschen Produktion breite Absatzgebiete erschließen. Die Eisenbahnen
werden in den Kanälen nicht nur die willkommenen Abnehmer ihrer Ueber-
bürde, sondern auch die Zuträger neuer Zufuhrartikel willkommen heißen.
Der Landwirtschaft wird einesteils durch Verbesserung der Vorflut, wie sie
namentlich an der unteren Oder, an der unteren Havel und an der Spree
ausgeführt werden soll, andernteils durch die Hebung des Grundwasser-
standes, von allen anderen Vorteilen abgesehen, sehr wesentliche Förderung
zuteil werden. Was den Kostenaufwand betrifft, so hätte der Staat bei
einem Zinsfuß von 3 Proz. und einer Tilgung von ½ Proz. nach voll-
ständiger Fertigstellung aller Anlagen jährlich 13.6 Mill. M aufzubringen,
wovon indessen 4.1 Millionen von den Interessenten im Falle mangelnder
Einnahmen zuzuschießen sind. Die finanzielle Belastung des Staates wird
sich jedoch voraussichtlich beträchtlich günstiger gestalten, weil die unmittelbar
Beteiligten einen Teil der Kosten auf sich zu nehmen verpflichtet sein werden,
weil die Einnahmen aus den Schiffahrtsabgaben die Ausgaben stark herab-
drücken werden und weil endlich die Eisenbahnen, welche anfangs infolge
der starken Konkurrenz der neuen Wasserstraßen eine starke Einbuße erleiden
dürften, späterhin von der durch die Kanäle bewirkten Verkehrssteigerung
große Vorteile ernten werden. Die Ausführung der Bauten soll sich über
15 Jahre erstrecken. Innerhalb dieses Zeitraumes bleibt der Staatsregierung
freie Hand, die Bauten unter Berücksichtigung der Orts- und Zeitverhält-
nisse ohne vorherige Bindung nach eigenem Ermessen zu bewerkstelligen.
Fast überall wird sich die Möglichkeit ergeben, mit den dringendsten Arbeiten
binnen kurzem zu beginnen. Die Korrespondenz hebt sodann die strategische
Bedeutung der geplanten Wasserstraßen, welche die Eisenbahnen entlasten
und ergänzen können, hervor. Der strategisch wichtigste sei der Rhein-Elbe-
Kanal, der die Verbindung der westlichen Operationsbasis (Rhein) mit der
östlichen (Weichsel, Warthe, Oder) darstellt und eine selbständige Operations-
basis bei der Verteidigung der Nordseeküste bildet. Die geplante Ver-
bindung der fünf großen in die Nord- und Ostsee mündenden Ströme sei
von allergrößtem Werte bei Angriffen auf die Nord-, West- und Ostgrenzen
Preußens und fördere wesentlich die Schlagfertigkeit der Heeresmassen, in-
dem sie die Eisenbahnen für die eigentlichen Truppentransporte frei mache.
Sie steigere daher erheblich die Defensivkraft Preußens.
14./16. Januar. (Preußisches Abgeordnetenhaus.) Etats-
beratung. Wirtschaftliche und finanzielle Lage; Kanalvorlage;
Zensurbeschwerden; Polenfrage.
Abg. Fritzen (Z.): Obwohl der Etat günstig sei, lägen die Ver-
hältnisse im Lande nicht günstig; man befinde sich in absteigender Tendenz.
Da der Kultusetat 13 Millionen für den Elementarunterricht mehr ver-
langt, als der vorige Etat, sei ein Schuldotationsgesetz erforderlich. Die
Reform der Kriminalpolizei sei notwendig, wie der Prozeß Sternberg
bewiesen habe. Die Kanalvorlage müsse objektiv geprüft werden, ihre
Ablehnung dürfe aber nicht zur Auflösung des Landtags führen. Der
Zeitpunkt der Vorlegung sei unglücklich, weil im Reichstage wichtige
handelspolitische Fragen auf der Tagesordnung ständen. Abg. Graf
Limburg-Stirum (kons.) hegt im Gegensatz zum Finanzminister Be-
sorgnisse für die Zukunft. Die Landwirtschaft leide stark; die Domänen-