Die Österreichisch- Ungarische Monarchie. (Oktober 10.—12.) 275
am 5. Oktober gelangt die Teilnahme von Funktionären der evan-
gelischen Kirche Ungarns an den Kiewer Festlichkeiten zur Sprache.
Das Oberhausmitglied Geheimrat Paul Szontagh erklärt, er habe
aus Zeitungsberichten mit Bedauern erfahren, daß ein geistlicher und ein
weltlicher Funktionär der evangelischen Kirche Ungarns an den Kiewer Fest-
lichkeiten teilgenommen und während derselben eine aktive Rolle gespielt
hätten, obgleich sie mit den Arrangeuren derselben keinerlei kirchliche oder
religiöse Beziehung unterhalten konnten. Ihr Erscheinen in Kiew könne da-
her nur durch politische Motive herbeigeführt worden sein, und gerade diese
lassen diese Teilnahme in häßlichem Lichte erscheinen, da in Kiew nicht ge-
rade die Freunde Ungarns und der evangelischen Kirche versammelt waren.
Er stelle daher den Antrag: daß gegen die Betreffenden die Untersuchung
eingeleitet, und wenn die Wahrheit der Anschuldigung klargestellt wird, dies
mit allen dem Konvent zur Verfügung stehenden Strafen geahndet werde.
(Allgemeine Zustimmung.)
Am 10. Oktober kommt im Konvent der evangelischen Kirchen-
gemeinde der Antrag zur Verhandlung. Kirchen-Inspektor Mud-
rony, gegen den der Antrag gerichtet, erklärt,
in merito müsse er sich dagegen verwahren, daß in Kiew politische,
kirchliche und nationale Fragen erörtert worden seien. Dort wurde ein all-
gemeines Fest der Christenheit gefeiert, an welchem jede christliche Konfession
freudigen Anteil nehmen sollte. (Heiterkeit.) Auch Redner habe an dieser
rein christlichen und kulturellen Feier teilgenommen, gerade wie Bischof
Stroßmayer (stürmische Zustimmung) mit seinem Telegramm und der Erz-
bischof von Canterbury mit einer feierlichen Zuschrift sich beteiligt haben.
Wären in Kiew nicht Russen, sondern Franzosen oder Engländer, dann wäre
kein Lärm geschlagen worden. (Allgemeine Zustimmung.) Redner habe seine
slawische Nationalität nie geleugnet. (Rufe: Panslawistische! Sympathie
für andere slawische Nationalitäten sei kein Verbrechen, daher sei die Anklage
gegenstandslos.
Der Antrag des Montandistrikts wird angenommen.
10. Oktober. (Österreich: Ruthenischer Parteitag.)
In Lemberg findet ein ruthenischer Parteitag statt, bei dem ein-
stimmig eine Resolution angenommen wird,
welche die ruthenischen Landtags-Abgeordneten auffordert, für die be-
vorstehende Landtags-Wahlcampagne ein ruthenisches Zentral-Wahlkomitee in
Lemberg einzusetzen, welches, wenn die Wahlmännerwahlen durch ungesetzliche
Agitationen der Gegenpartei wieder ungünstig für die Ruthenen ausfallen
sollten, nachdrücklichst zu erklären hätte, daß es seine Tätigkeit sistiert und
von der Nominierung ruthenischer Kandidaten angesichts des übermächtigen
Druckes Abstand nimmt. Auch wenn trotzdem einige Ruthenen aus der
Wahlurne hervorgehen sollten, hätte das Zentral-Wahlkomitee nach Bekannt-
werden des Endergebnisses der Wahlen neuerdings einen Parteitag nach
Lemberg einzuberufen, damit Beschluß darüber gefaßt werde, ob diese wenigen
ruthenischen Repräsentanten in einen Landtag einzutreten haben, in welchem
sie, nach den bisherigen Erfahrungen zu schließen, nichts ausrichten werden.
12. Oktober. (Österreich: Ministerwechsel.) Minister
v. Ziemialkowski erhält die erbetene Entlassung, an seine Stelle
tritt der Statthalter von Galizien, v. Zaleski. Zum Justiz-
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