DHie Gesterreichisch-Augerische Moenarchie. (Mai 8.—25.) 193
Im Herrenhaus haben sich die Parteien zu einer die Thron-
rede acceptierenden Adresse schon vorher vereinigt.
Die Jungtschechen hatten einen Adreß-Entwurf folgenden
Inhalts:
Die bisherige Behandlung der nationalen Fragen könne nicht zum.
Ziele führen. Die Verständigung mit den Deutschen sei nur auf dem Boden
völliger Gleichberechtigung möglich. Unter Betonung der tiefen staatsrecht-
lichen Ueberzeugung der tschechischen Nation wird die Lösung der nationalen
Frage auf Grundlage selbständiger freier Entwickelung der einzelnen Reichs-
teile gefordert. Was für Wien geschehe, müsse auch für Prag und andere
Hauptstädte der Kronländer geschehen. Ferner wird verlangt: Allgemeines
Stimmrecht, Aenderung der Wahlordnung zu Gunsten der Tschechen, nament-
lich in Mähren, Schlesien; Gleichberechtigung der Konfessionen und Natio-
nalitäten, der wirtschaftlichen Klassen, besonders der arbeitenden Klassen,
Dezentralisierung der Eisenbahnen, Herabminderung der Militärlasten, Kräf-
tigung des Einflusses der Bedeutung der Landtage.
8. Mai. (Wien.) Graf Taaffe und sämtliche Minister
drücken dem Präsidenten Smolka den Dank der Gesamtregierung
für die Kundgebung aus.
15. Mai. (Prag.) Eröffnung der Landesausstellung
durch Erzherzog Karl Ludwig, als Vertreter des Kaisers, Protektor
der Ausstellung.
Auf die in böhmischer Sprache begonnene, in deutscher Sprache fort-
gesetzte Ansprache des Oberst-Landmarschalls Fürsten Lobkowitz bezeichnete
der Erzherzog in seiner Erwiderung den Gedanken der Ausstellung als einen
glücklichen, weil die letztere die geistigen und wirtschaftlichen Fortschritte des
abgelaufenen Jahrhunderts darlege. Aus diesem Grunde habe auch der
Kaiser diesem Gedanken das regste Interesse zugewendet und das Protektorat
über die Ausstellung übernommen, welche er persönlich in Augenschein nehmen
werde. Wie die Ausstellung dem Lande zur Ehre gereiche, so möge sie auch
zur Hebung der allgemeinen Wohlfahrt beitragen. Der Erzherzog erklärte
hierauf in beiden Landessprachen die Ausstellung für eröffnet.
22. Mai. (Prag.) Eine Deputation französischer Studenten
wird von der tschechischen Bevölkerung, welche sich massenhaft am
Bahnhof angesammelt hatte, mit den stürmischen Rufen „Vive la
France“ empfangen und durch eine tschechische und französische An-
sprache begrüßt. Die Redner betonen, daß die Tschechen und Fran-
zosen einen gemeinsamen Feind, den Germanismus, zu bekämpfen
hätten und deshalb fest zu einander halten müßten. Die Polizei
zerstreut schließlich die Demonstranten.
25. Mai. (Wien.) In der Plenarsitzung des Welt-Post-
Kongresses erklären die Vertreter von Neu-Südwales, Viktoria,
OQueensland, West-Australien, Süd-Australien, Tasmanien und
Neuseeland, daß ihre Staaten zum 1. Oktober d. J. dem Weltpost-
verein beitreten.
Europ. Geschichtskalender. Bd. XXXxII. 13