Grundpflichten und Grundrechte. (F. 53.) 81
Von der Staatsangehörigkeit einen besonderen Begriff des Staatsbürgerrechtes juristisch
zu sondern, hat jedenfalls keine grundsätzliche, sondern auch nur quantitative Bedeutung:
man mag als „Bürger“ diejenigen Staatsangehörigen bezeichnen, welchen die Befugnisse
zustehen, die als staatsbürgerliche Rechte im besonderen Sinne des Wortes erscheinen,
vor allem Wahlrecht und Wählbarkeit. Trotz allen Mißbrauches, der mit dem Worte
„Bürger“ getrieben wurde, drückt dasselbe doch in seiner althergebrachten Bedeutung
die schöne ethische Auffassung der erhöhten Pflicht und Verantwortung aus,
die sich aus dem Inbegriff des vollen Rechtes des Mannes an seinem
Staate ergibt.k
II. Als die Grundpflicht des Staatsbürgers bezeichnet v. Rönne, der herrschen-
den Meinung folgend: „die Verpflichtung der Treue und des Gehorsams gegen
den König, in dessen Person sich die gesamte Staatsgewalt konzentriert und des Ge-
horsams gegen die Gesetze, sowie gegen die Verfügungen der Staatsregierung und
der von ihr eingesetzten Behörden.“ Der monarchische Gesichtspunkt ist in diesem Satze
richtig und scharf präzisiert; im übrigen bedarf diese Lehre noch einer Weiterentwicklung,
die ihr in ausgezeichneter Weise Laband? gegeben hat: nämlich der Unterscheidung
von Gehorsam und Treue.
Die Gehorsämspflicht ist eine Untertanenpflicht, aber sie ist nicht nur eine Unter-
tanenpflicht, sondern auch eine Pflicht der nichtstaatsangehörigen Fremden, die
im Staatsgebiete sich vorübergehend oder dauernd aufhalten. Grundsätzlich
und im allgemeinen ist jeder Mensch, der im Staatsgebiete sich aufhält, den Staats-
gesetzen unterworfen; der Gedanke der Ausländer als „Subditi temporarii“ ist in diesem
Sinne vollkommen zutreffend, wie ein einfacher Blick auf die tatsächlichen Verhältnisse
ergibt; von diesem Prinzipe gibt es Ausnahmen verschiedener Art, sei es daß gewisse
Gesetze für Fremde nicht gelten, so die die Militärpflicht, das Wahlrecht, die Ehren-
ämter der Rechtsprechung und der Verwaltung betreffenden Gesetzesvorschriften, sei es
daß für Fremde besondere Vorschriften gelten, so für Armenrecht und Prozeßkautionen
im Zivilprozeß, für gewisse Verhältnisse des Gewerbebetriebes u. a. m. Durch diese Aus-
nahmen wird das das Rechtsleben der modernen Staaten beherrschende Territorialitäts=
prinzip nur bekräftigt."
Die Pflicht des Gehorsams gegen die Gesetze kann somit nicht als eine be-
sondere Untertanenpflicht rechtlich charakterisiert werden. Verschieden aber vom
Gehorsam ist die Treue, und die Treuepflicht ist allerdings eine besondere
Untertanenpflicht. Der Unterschied zwischen Gehorsam und Treue liegt, wie über-
haupt, so insbesondere auch für das Gebiet des Staatsrechtes, im letzten Ende auf
ethischem Gebiete; aber die Treuepflicht ist mit besonderen rechtlichen Wirkungen und
Folgen ausgestattet, gehört somit, wie Laband durchaus zutreffend ausführt, nicht nur
dem ethischen, sondern auch dem Rechtsgebiete an. In dem spezifischen Moment
der Treue liegt das unterscheidende Merkmal des Verhältnisses zum
Staate beim Staatsangehörigen einerseits, dem Fremden andererseits.
Dies betont Laband und dieser Gedanke ist einer der fruchtbarsten und wert-
vollsten in Labands Darstellung des Reichsstaatsrechtes. Wenn aber Laband diesem
Gedanken „„juristisch“ eine nur „negative“ Bedeutung gibt, d. i. „die Rechtspflicht zur
Unterlassung von Handlungen, welche auf die Beschädigung des Staates abzielen“, so
1 Das Wort Staatsbürger hat daher eine
doppelte Bedeutung, indem es sowohl den Volks-
genossen, das Mitglied des Staatsvolks, bezeichnet,
sodann aber auch den politisch berechtigten In-
länder, den sog. aktiven Vollbürger.
2 St. R. I., S. 128, dort auch weitere Literatur-
angaben.
* Vgl. G. Meyer, St. R., 5. Aufl., S. 740,
der übereinstimmend mit den hier gegebenen Dar-
legungen über den sowohl Inländer wie Aus-
länder umfassenden Gehorsam den S. 739 an
v. KRönne-Zorn, Preuß. Staatsrecht.
5. Aufl. II.
die Spitze gestellten Satz, daß „alle einzelnen Ver-
pflichtungen der Untertanen“ sich in der Gehor-
samspflicht zusammenfassen lassen, selbst widerlegt.
* Die von G. Meyer, a. a. O. gemachte
Unterscheidung dieses Gehorsams nach den drei
Richtungen: Gesetze, Gerichte, Verwaltungsbe-
hörden hat innerlich keinen Grund; es handelt
sich dabei nur um gquantitative Verschiedenheiten
des seiner Natur nach einheitlichen Ge-
horsams gegenüber der Staatsgewalt;
s. auch Laband l, S. 129, N. 2.
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