Oesterreich — Galizien. 127
Staaten die für die internationalen Beziehungen geltenden Regeln und die
Rücksichten einer erleuchteten Politik mehr in Betracht zieht, als die durch
eine übertriebene Erregung der Volksgefühle hervorgerufenen Kundgebungen,
so wird sie — wir hoffen es gerne — in ihrer Würdigung alle jene Ruhe
zeigen, welche die Bedenksamkeit des Falles erfordert, und sie wird es für
angemessen erachten, bei einem Entschlusse stehen zu bleiben, welcher, indem
er die Beziehungen zwischen zwei großen Staaten, mit denen Oesterreich
durch gleiche Freundschaftsbande verbunden ist, vor einem Bruche bewahrt,
geeignet sein wird, den ernsten Störungen vorzubeugen, welche die Even-
tualität eines Krieges unfehlbar sowohl für jede der streitenden Theile, als
für die Angelegenheiten des ganzen Erdkreises herbeiführen würde“.
18. Dec. Das Abg.-Haus wählt einen Finanzausschuß von 48 Mitgliedern
zu Vorberathung der finanziellen Vorlagen der Regierung (39 Mit-
glieder erklären, sich der Wahl enthalten zu wollen) und vertagt
sich dann auf den 4. Februar 1862.
2. Galizien.
4. Jan. Die galizische Deputatien (ohne die Ruthenen) an ihrer Spitze
Smolka, überreicht dem Staatsminister die galizische Adresse, in
der eine ziemlich vollständige Autonomie des Landes begehrt wird:
,,. . . Aus diesem rechtlichen Streben nach autonomer Organisation unseres
Landes geht hervor, daß für selbes nur ein Provinziallandtag und zwar
nur ein solcher gedeihlich sein könne, ja zum unentbehrlichen Bedürfnisse
werde, der sowohl für Galizien wie für Krakau ein gemeinschaftlicher und
einer wäre, der ferner auf echter unverfälschter National- (Wahl-) Ver-
tretung beruhen, und nicht lediglich berathend, remonstrativ oder postulativ
sein würde, sondern in Sachen, welche das moralische oder materielle
Interesse der Landesbewohner betreffen, entscheidend sein müßte. Wenn
hingegen ein allgemeiner wie immer gearteter einheitlicher Reichstag (ein
allgemeines Parlament) für die gesammte Monarchie, an welchem auch
wir theilnehmen müßten, in Angelegenheiten von Galizien und Krakau,
bei den Lebensfragen unserer Nationalität, unserer Gesittung, unserer Ge-
wohnheiten, unseres Unterrichtswesens und des dem Lande gehörenden Ver-
mögens, gleichwie in Betreff der eigenthümlichen Landesinstitute einen ent-
scheidenden Einfluß erhielte, dann würden in der That die politischen Zwecke
eines bestimmten von germanischer Tendenz durchdrungenen Theiles des
Parlamentes an unserem dem deutschen Bunde fremden Elemente, gleichwie
an jedem nicht germanischen, dem kräftigsten, begründetsten Widerstande
begegnen“.
12.1. Eine von der ruthenischen Geistlichkeit Galiziens ausgehende
Deputation wird vom Kaiser selbst empfangen.
2. März. Eine zweite Deputation von Ruthenen spricht sich gegen den
Staatsminister im Sinne der polnischen Adresse vom 4. Jan. aus.
15. April. Eröffnung des galizischen Landtags. Die Großgrundbesitzer
geben durch den Grafen Adam Potocki die feierliche Erklärung ab,