304 Uebersicht der Ereignisse des Jahres 1861.
Arbeit erheischen, selbst wenn keine gewaltsamen Bewegungen daraus
hervorgehen oder sich daran inüpfen sollten.
Daß übrigens in Rußland unter Alexander ein anderer Geist
herrsche als unter seinem Vorgänger Nikolaus, zeigten die Vorgänge, die
sich zu derselben. Zeit in Warschau entwickelten. Daß die Idee der
Natlonalität, die von Frankreich als ein mächtiger Hebel politischer Action
ergriffen worden war und im Süden Europas bereits ein großes Volk zu einem
neuen Dasein gerufen hatte, in dem unglücklichen, zerrissenen Polen einen
Wiederhall finden würde, war vorauszusehen. Eine unbestimmte Gährung
hatte sich namentlich schon seit einiger Zeit der Berölkerung der polnischen
Hauptstadt bemächtigt. Schon im Herbste des Jahres 1860 während
der Zusammenkunft der Herrscher von Nußland, Oesterreich und Preußen
in Warschau war ein unheimlicher Geist in einzelnen Erscheinungen zu
Tage getreten, und nachher der Carneval ohne alle und jede öffent-
liche Lustbarkeit vorübergegangen. Zu Ende des Februar brach die Un-
zufriedenheit mit den bestehenden Zuständen in hellen Flammen aus.
Schon am 29. November 1860 hatte eine Art Volksdemonstration
zur Jahresfeier der polnischen Revolution stattgefunden, die indeß von
den Behörden ignorirt worden war und seit der Zeit hieß es allgemein,
daß am 25. Februar, dem Jahrestage der Schlacht von Groechow eine
großartigere Demonstration stattfinden würde. Eine Procession mit
Fackeln sollte durch die Hauptstraßen Warschaufs ziehen. In den lehzten
Tagen wurden Fedruckte Zettel in den Straßen ausgestrent und sogar an
manchen Gebäuden angeklebt, mit der Aufforderung sich um 6 Uhr Abends
zahlreich auf dem Altmarkte einzufinden. Schen um 5 Uhr waren wirk-
lich nicht nur der große Marktplatz, sendern auch alle dahin führenden
Straßen mit Menschenmassen überfüllt, wobei es auffiel, daß sich unter
den Neugierigen nicht nur Männer aus den bessern Ständen, sendern
auch viele Frauen befanden. Die zahlreich vertretene Polizei forderte die
Massen auf, sich zu zerstreuen, aber vergebens. Die Polizei wurde auf
jede Weise verhöhnt und die Volksmassen, die von allen Seiten hinzu-
strömten, machten die Circulation lebensgefährlich, später ganz unmöglich,
wozu ein starker Nebel und eine mangelhafte Straßenbeleuchtung wesent-
lich beitrugen. Während auf diese Weise die Polizei auf dem Altmarkte
vollauf beschäftigt war, versammelten sich die Anführer der Demonstration
in der nahe gelegenen Paulinerkirche zum Gottesdienste. Die Kirche
konnte die herzuströmende Menge nicht fassen, so daß auch die Straße
vor derselben mit Menschen angefüllt war. Gegen halb 7 Uhr begann