308 Uebersicht der Ereignisse des Jahres 1861.
Fuß und zu Wagen auf den Kirchhof nach der Vorstadt Powonski, wo
das Grab der am 27. Febr. Gefallenen war und wohin auch ein Kreuz
von einem Geistlichen getragen wurde. Es zeigte sich kein einziger Soldat
und die Andacht wurde von der ungeheuern Menschenmenge in voller
Nuhe abgehalten, worauf die Massen mit Zweigen und Kränzen ruhig
nach der Stadt zurückströmten. Diese Demonstration sollte, so hieß es
allgemein, ehe die Auflösung des landwirthschaftlichen Vereins bekannt
wurde, vorläufig die letzte sein. Aber dieser Regierungsact warf in die
leicht entzündlichen Massen einen frischen Zündstoff. Nach Mittag sah
man wiederum von allen Seiten die Massen nach dem Landschaftsgebäude
strömen, größtentheils trugen sie noch die grünen Spolien von dem Kirch-
hofe in Händen oder an den Kleidern befestigt und dort entwickelte sich
ein seltsames Schauspiel. Auf dem von Damen gefüllten Balkon standen
mehrere Herren, welche offenbar das Ganze leiteten. Der herrliche
Säulengang des Gebäudes war mit Blumenguirlanden geschmückt, der
russische Adler daselbst mit Trauerslor behangen und über ihm, von den
Herren auf dem Balkon an einer Schnur gehalten und gerichtet, hing der
improvisirte polnische Adler auf schwarzem Grund, in Eile auf Papier
gezeichnet. Das bekannte Nationallied „Noch ist Polen nicht verloren“
wurde angestimmt und von der Menge jubelnd gesungen. Dann zgog die-
selbe nach der Krakauer Vorstadt zu dem Hotel des Grafen Andreas
Zamoyski; Hurrahs erschollen dem Präsidenten des landwirthschaftlichen
Vereins und des landwirthschaftlichen Kreditinstituts. Von der Menge
stürmisch gerufen, erschien der Graf auf dem Balkon, sprach dem Volke
beruhigende Worte zu und bat um ruhiges Auseinandergehen. „Eurcpa,
meinte er, sieht auf uns, Europa wird uns richten". Der Zug bewegte
sich von da zum Marienbilde vor der Bernhardinerkirche. Einen Augen-
blick hielt er vor dem sog. Statthalterpalaste, wo der Director Wielopoleki
seine Privatwohnung hatte. Doch schnell verbreiteten sich wie ein Lauf-
feuer durch die Massen die Worte: „Noch kennen wir den Mann nicht;
erst müssen wir sein weiteres Verfahren abwarten“ und das Volk zeg
ruhig weiter, ohne daß man auch nur eine laute Aeußerung gegen den
augenblicklich unbeliebten Grafen, dessen Einfluß man die Auflösung des
landwirthschaftlichen Vereins namentlich zuschrieb, gehört hätte. Der Zug
ging also weiter bis zur Bernhardinerkirche, wo das Gebet um die Wie-
derherstellung Polens wiederum begann. Da sah das Volk vor dem nahe
gelegenen Schlosse die Soldaten massenhaft gedrängt sich aufstellen und
sofort zog es dorthin. „Noch ist Polen nicht verloren“ ward wiederum