340 Uebersicht der Ertignisse des Sahrts 1861.
Im übrigen Deutschland ging keine der großen Fragen, welche die
Nation beschäftigten, ihrer Lösung merklich entgegen. Die schleswig-hol-
steinische Frage blieb vertagt und machte nur in soferne wenigstens einen
Schritt weiter, als die preußische Regierung in einer Depesche vom
5. Dec. an das dänische Cabinet zum erstenmal wieder die Ansprüche
Deutschlands nicht blos auf Holstein, sondern auch auf Schleswig nachdrücklich
hervorzuheben sich veranlaßt fand. In Kurhessen schrieb die Regierung
zum drittenmal die Wahlen zur Abgeordnetenkammer nach der octroyirten
Verfassung von 1860 aus, mit nicht besserem Erfolg als bisher; eine
Petition an den Kurfürsten um Wiederherstellung der Verfassung von
1831, 2e in wenigen Tagen viele Tausende von Unterschriften fand, wurde
von der Polizei unterdrückt. In Hanau kamen einige Stenerverweigerungen
vor, doch blieben sie vereinzelt. Im Ganzen war die kurhessische Frage
zu Ende des Jahrs auf demselben Punkte wie zu Anfang. Nur die
deutsche Frage ging in der letzten Hälfte des Jahres freilich nicht ihrer
Lösung, die wohl noch lange dahinsteht, aber doch einer Klärung um einige
wesentliche Schritte entgegen. Nachdem die Unterdrückung des National=
vereins im Großherzegthum Hessen mißlungen und der Bundestag auf die
Anregung Hessens, es seinerseits zu versuchen, nicht eingegangen war,
hatte der Verein in der öffentlichen Meinung eine festere Stellung einge-
nommen und sich im westlichen und mittleren Deutschland und in Preußen
gewaltig ausgebreitet. Das bedeutendste Moment war, daß wenigstens
einer der größeren Staaten unzweideltig auf seine Seite trat.
Der Großherzeg von Baden erklärte sich zu Anfang Mai durch die Er-
nennung des Hrn. v. Roggenbach zu seinem Minister des Auswärtigen im
Wesentlichen für die Bestrebungen des Vereins; die Vertreter Badens am
Bundestag und in Wien wurden in demselben Sinne gewechselt. Im Octeber
legte auch das Volk bei den Erneuerungswahlen zur Abgeordnetenkammer
seine Zustimmung an den Tag. Am 30. Nov. eröffnete der Großherzog den
Landtag mit einer Thronrede, in der er sich für „eine feste und thatfähize
Organisation, welche Deutschland zur Vertretung seiner Macht und seines
Rechts den Nachdruck eines einheitlichen Willens verschaffe und dadurch
der Selbständigkeit der Einzelstaaten zugleich eine unerschütterliche Stütze
verleihe“, aussprach; nicht blos die zweite, sondern auch die erste Kammer,
und zwar beide fast einstimmig, erklärten sich einverstanden. In
Würtemberg entschied sich eine große Versammlung der liberalen Partel
in Eßlingen am 3. Febr. nach lebhafter Debatte mit großer Mehrheit
ebenfalls für die Bestrebungen des Vereins. Die Erklärung blieb indeß