Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zweiter Jahrgang. 1861. (2)

360 Bõrsencurse. 
134 Mill. sog. Trentenaire-Obligationen unterzubringen wünschten und hlezu bald 
auch noch das italienische Anlehen von 500 Mill. kam. Die Börse blieb ziemlich 
apathisch. Der Tod Cavours, derjenige des Sultans erregten nur eine kaum 
nennenswerthe Baisse. Der Tod des Ersteren hatte die Anerkennung des König- 
reichs Italien von Seite Frankreichs zur Folge, was, auffallender Weise, mit einer 
Balsse beantwortet wurde. In finanzieller Beziehung war sie in der That für die 
Pariser Börse eine Calamität, indem sie den ohnedem so beschränkten und ceutnervten 
Markt jener Anleihe von 500 Mill. eröffnete, die vom Tage ihres Erscheinens an 
wie ein Alp auf der Börse lastete. Das Hauptereigniß des dritten Quartals war 
der Prozeß Mires. Dieser Prozeß, der einen der Herren aus der Schwindelperiode 
zu Boden warf, wird für alle Zeiten eine cause célsbre und ein Beitrag zur 
stnantenen Sittengeschichte des zweiten Kaiserreichs bleiben, wegen seiner Tragweite. 
eines Umfaugs und seiner Folgen, besonders aber wegen des damit verbundenen 
Scandals, obgleich der freilich durchsichtige Schleier des Geheimnisses nicht gelüstet 
wurde. Ende Juni stand Rente auf 67.55, Mobilier auf 675; Anfangs Septem- 
ber war jene auf 69.45, dieser bis auf 785 hinauf getrieben worden. Diese künst- 
liche Hausse dauerte aber nicht lange. Daß die Ernte in Frankreich eine weitaus 
unzureichende war und für Ankauf von Getreide Hunderte von Millionen ins 
Ausland würden wandern müssen, lag unzweifelhafst vor und als die Bank ihren 
Disconto auf 64 erhöhte, als ihr Metallvorrath trotzdem auf 330 Mill. herab- 
gesunken war — da fiel es plötzlich wie Schuppen von den Augen der Spcculanten, 
die Hausse hielt inne, die Reaction begann: Rente fiel bald auf 68, Crédit mo- 
biller auf 710. Die Börse war erschöpft; die Politik übte nur einen sehr geringen 
Einfluß auf sie aus. Nur Ereignisse, plötzlich gewaltig unmittelbar drohend, wie 
sie in der letzten Periode des Jahres eintraten, konnten der Polltik wieder zum 
Siege über die Platz-Einflüsse verhelfen: die Ernennung Fould's zum Finanzminister 
und der drohende Krieg zwischen England und Nordamerika in Folge der Trent- 
assaire. Der vom Kaiser improvisirte französisch-englische Handelsvertrag, mit sei- 
nem, freilich wohl nur vorübergehenden ungünstigen Einflusse auf die Staatsein- 
künfte und seiner momentan lähmenden Wirkung auf die Landesindustrie — das 
Zusammentreffen dieser Verhältnisse mit den Zuständen in Amerika, wo der Bürger- 
krieg den Norden dem europäischen Import verschloß, während er der Indusnie 
Europa's zugleich die Baumwolle des Südens entzog, der Ausfall der Ernte, die 
Anleihen, des Staats, der Eisenbahngesellschaften und Italiens, endlich der bis zum 
Paroxismus getriebene Schwindel der Bau= und Terrains-Speculation gleichzcttig 
mit dem unmäßigen Aufwande der Regierung für unproductive Ausgaben, halien 
gezeigt, daß die Hilfsmittel Frankreichs doch nichts weniger als unerscherssüch seien 
und führten zur Ernennung des Hrn. Fould, um Frankreich aus der „drohenden 
Gefahr“ zu retten und zu der Verzichtleistung des Kaisers auf die Prärogative des 
Credit-Mißbrauchs. Der Eindruck war augenblicklich ein günstiger — Rente stieg 
auf 70.50, Crédit mobilier auf 787.50 — aber auch nur augenblicklich. Schen 
wenige Tage nachher brach die Trenutaffaire herein und warf die Rente wieder auf 
69.80, Crédit mobilier auf 765 und unaufhaltsam sank jene auf 67, dieser auf 
700. Zu Anfang des Jahres stand die Rente auf 67.70, zu Ende auf 67.10; 
Crédit mobllier zu Anfang auf 730, zu Ende des Jahrs auf 705. 
Wiener Börse. Der Beginn des Jahres 1861 war auch für die Wiener 
Börse kein günstiger. Die im December 1860 erfolgte Sistirung der Silberzahlung 
für die Nationalcoupons, die Einführung des Zwangscurses der Banknoten in 
Venetien, die Unzufriedenheit mit dem Octoberdiplom, die beginnende Agitation in 
Ungarn drückten schwer. Die Devise London (Silberagio), am 31. Der. 1860 zu 
144 schließend, stieg bis nahe 154. Die im Januar ausgeschriebene Steucranleihe 
von 30 Mill., eine kostspielige Anticipation zukünftiger Staatseinnahmen zeuzie 
von den dringenden Bedürfnissen des Staatsschatzes, welchem Ungarn die Steuer- 
zahlung verweigerte; die Anleihe fand flaue Aufnahme. Die am 26. Febr. vrr- 
kündete Verfassung machte auf die Börse, die sie längst erwartet und escomfstlirt
	        
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