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Das deulsche Reich und seine einzelnen Glieder.
dem Grunde, weil die Ausführung derselben den Kreis des Gesetzes zu seir
erweitert hätte. Folgen muß jedoch auch noch eine derartige Vorlage. Der
Entwurf gewährt ferner ein Klagerecht für öffentliche Befugniß. Es ist das-
selbe der schlagendste Beweis von der innerlichen Versöhnung der GegensätVe,
wie sie die vorliegende Kreisordnung darstellt. Abhülfe gegen Willkür suchte
die Linke des Hauses darin, daß sie ein solches Postulat aufstellte. Die Rechte
hielt an der engen Schranke des Verwaltungskreises für Verantwortlichkeit
fest. Die Vereinigung beider Forderungen finden wir in den von der Vorlage
instituirten Verwaltungsgerichten, die zum Theil aus Verwaltungs-, zum Theil
aus Justizbeamten zusammengesetzt werden, und die noch ein drittes versöhnen-
des Element, das Laienelement enthalten. Von welchem weittragenden Einfluß
für die Versöhnung von Staat und Volk aber diese Gerichte sein werden, das
läßt sich aus der Vergleichung des bestehenden mit dem zukünftigen Zustande,
sobald das Gesetz die Genehmigung erlangt hat, abnehmen. Während jietzt
allein der Weg der Beschwerde gestattet ist, um dem Gekränkten zu seinem
Recht zu verhelfen, hat er dann die Berechtigung, den Kränker vor das
Gericht zu ziehen. Endlich hoffen wir seitens der Staatsregierung bald Vor-
schriften und Erleichterungen für das Finanzwesen der Communen. Dieselbe hat
das Versprechen abgegeben, sobald die Kriegsentschädigung eingegangen, den
Provincialfonds Zuschläge zu gewähren; dann liegt ihr aber die Verpflichtung
ob, ein Finanzgesetz vorzulegen, wo über die Ueberschüsse zu Gunsten der Com-
munalverbände verfügt wird. An dem Zusammenhang zwischen Staats= und
Communalbesteuerung wird festgehalten werden, mit Rücksicht hierauf erwarten
wir besondere Gesetze über Communalbesteuerung, wenn freilich auch nicht in
nächster Zeit. Das sociale und das nationale Interesse gebieten uns mit der
Vorlage endlich zu Ende zu kommen. Das sociale Interesse ist conservativ.
Noch hat die sociale Bewegung die Landbevölkerung nicht ergriffen, daher ist
sie ungefährlich. Um einer solchen Eventualität jedoch vorzubeugen, ist kein
besserer Damm zu errichten als die socialen Gruppen zu organisiren, wie es
in der Vorlage vorgeschrieben. Dann werden diese lebendige Glieder des
ganzen großen Staatswesens, und die Solidarität der Interessen macht sie
aus Feinden zu Trägern desselben. Die sociale Frage verdient aber die höchste
Berücksichtigung, sie duldet nicht, daß man mit ihr spielt. Weiter treibt uns
das nationale Interesse zur Vollendung. Hat Deutschland die Aufgabe gelöst
und den Staat in seiner Wehrhaftigkeit derartig organisirt, daß vor der
disciplinirten Volkskraft alle Hindernisse zerstoben, so liegt ihm jetzt die Pflicht
ob, diese Aufgaben nach der Richtung der Cultur zu lösen, und die Freiheit mit
der staatlichen Disciplin in einem lebensvollen Staatsorganismus zu vereinigen.
Dann werden alle für den Zweck des Deutschen Reichs fest zusammenwachsen,
und der Particularismus wird schwinden. Mit dem deutschen Geist der Mäßi-
gung und Objectivität lassen Sie uns an die Arbeit gehen! Vaterlandsliebe
und fester Wille werden uns kräftigen, das Werk zu vollbringen zu des Vater-
landes Ehre und Heil. (Lebhafter Beifall.) Minister des Innern Graf
Eulenburg erklärt, daß die Regierung den größten Werth darauf lege,
eine Einigung beider Häuser zu erzielen. Zu Herbeiführung eines Compro-=
misses scheine aber die Regierungsvorlage geeigneter als die Commissions-
anträge; er werde daher bei der Berathung des Gesetzes an der Regierungs-
vorlage festhalten, ohne die Commissionsanträge schroff abzulehnen.
Bezüglich der Provinz Posen glaubt der Abg. Reichensperger (clerical),
daß Gerechtigkeit und Billigkeit es erfordere, den Polen Dasselbe zu gewähren,
was den andern Provinzen gewährt werden solle. Er wundere sich sogar,
daß in diesem Falle, wo die polnische Bevölkerung sich mit der deutschen assi-
milliren wolle, man ihr das Recht nicht gewähren wolle. Minister des Innern
Graf zu Eulenburg: Die gegenwärtige Vorlage ist ein Gesetz, welches vor
Allem die Selbstverwaltung anstrebt, und ich meine, daß die Vorbedingung
derselben diejenige ist, daß die Personen, in deren Hand sie gelegt wird,