Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Slieder. 75 
zu verständigen, um sich keiner Weigerung auszusetzen. Ich ergreife 2c.“ Die 
Nordd. Allg. Ztg. bemerkt indeß alsbald zu diesem Schreiben offiziös: „Das 
Schreiben vom 10. Februar ändert an der Sachlage, welche das frühere 
Schreiben des Cardinals vom 3. Jan. geschaffen hat und welche diesseits ac- 
ceptirt wird, nicht das Mindeste. Der Standpunkt, von welchem der römische 
Stuhl hinsichtlich des Concordats in Bezug auf die Provinzen, die Frankreich 
nicht mehr angehören, ausgegangen ist, hat, wie dieses neue Schreiben be- 
stätigt, am 3. Januar präcisirt werden sollen. Dieß ist dahin geschehen, daß 
jenes Concordat von dem Augenblick der Einverleibung des Elsaß in das 
deutsche Reich aufgehört habe, zu gelten. Auch dieses neue Schreiben spricht 
es aus, daß der römische Stuhl „der kaiserlichen Regierung kein Concordat 
zu kündigen hat“. Beide Theile sind also darllber einig, daß der Vertrag 
gelöst ist, daß zwischen Deutschland und Rom in Bezug auf den Elsaß keine 
Vertragsbestimmungen existiren. In Rom scheint eine neue Uebereinkunft ge- 
wünscht zu sein: Wünsche find indessen keine Rechtsquellen. Die deutsche Re- 
gierung wird, wie schon früher mitgetheilt worden, die betreffenden Verhält- 
nisse im Wege der Gesetzgebung ordnen. Diese Gesetzgebung wird unzweifelhaft 
eine wohlwollende sein und ihrem Inhalte nach den Wünschen der Kirche, so 
weit dieß möglich ist, entsprechen.“ 
Ueber die Differenzen zwischen Staat und Kirche im Elsaß, die zu diesen 
Erklärungen von der einen und von der andern Seite Anlaß geben, bringen 
die Blätter folgende thatsächliche Angaben: Der Artikel 19 der „organischen 
Artikel“ vom 15. Juli 1801 bestimmt, daß die Bischöfe die Geistlichen er- 
neunen und einsetzen, daß sie diese Ernennung aber nicht bekannt machen und 
den Geistlichen nicht die kanonische Sendung (Tinstitution canonique, missio 
canonica) verleihen dürfen, bis diese Ernennung durch den ersten Consul be- 
stätigt ist. Die Geistlichen können auch nach Artikel 27 desselben Grund- 
gesetzes über die Organisation der Culte nicht in Funktion treten, bis sie in 
die Hände des Präfekten den vorgeschriebenen Eid abgelegt haben, in welchem 
Gehorsam gegen die Regierung und das Fernhalten von jeder Verbindung, 
welche die öffentliche Ruhe zu stören geeignet ist, geschworen wird. Nun be- 
stritt die katholisch-kirchliche Behörde das Recht der Regieruug zu dieser vor- 
gängigen Bestätigung. Sie suchte sich zu stützen auf den Artikel 17 des mit 
den „organischen Artikeln“ ein untrennbares Ganzes bildenden Concordates, 
welcher lautet: „Unter den contrahirenden Parteien ist man Übereingekommen, 
daß in dem Falle, wo einer der Nachfolger des gegenwärtigen ersten Consuls 
nicht Katholik ist, die in dem oben stehenden Artikel erwähnten Rechte und 
Prärogativen und die Ernennung der Bischöfe im Einverständnisse mit ihm 
durch eine neue Convention werden geregelt werden." Da nun der gegen- 
wärtige Nachfolger des ersten Consuls, der deutsche Kaiser, nicht Katholik ist, 
so folgerte man daraus, daß er jenes Bestätigungsrecht nicht besitze, und ohne 
Zweifel würde man, dieß zugegeben, später auch gefolgert haben, daß er das 
Recht zur Ernennung der Bischöfe nicht habe. Man vergaß, daß in dem 
Falle, wo das Concordat von 1801 hinfällig wird, das alte gemeine franzö- 
sische Recht in Kraft tritt. Auf Seiten der Regierung begnügte man sich, 
die weltlichen Einkünfte der Pfarrer, für welche die organischen Artikel concret 
wurden, zurückzuhalten, und unn wurde von dem bischöflichen Ordinariat das 
Bestätigungsrecht des Staates nicht länger bestritten. 
11. Febr. (Preußen.) Die feudal-conservative Kreuzzeitung bricht ent- 
schieden mit dem Fürsten Bismarck und kündigt ihm wegen seiner 
Rede im Abg.-Hause vom 30. Jan. energische Opposition an, 
und zwar zunächst zum Zwecke der „Vindikation des monarchischen Prin- 
cips gegen parlamentarische Majoritätswirthschaft", nachdem der Fürst die be- 
denklichen Worte: „In einem censtitutionellen Staate bedlrfen wir Minister 
einer Majorität, die uns im Ganzen unterstützt“ geäußert, im Weiteren „die