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Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.
particularistischen Standpunkt (Windthorst), als vom beschränkt juristischen
aus (Minckwitz) nur ein schüchterner. Das Gesetz für Errichtung eines Reichs-
rechnungshofes hat von vornherein Aussicht auf Annahme, da der Reichstag
seine mit dem alten Conflict wegen des Rechnungshofes zusammen hängenden
Bedenken im wesentlichen hat fallen lassen.
28. April. (Preußen.) Der Cultusminister verfügt, daß in der Provinz
Posen nicht mehr, wie bisher, denjenigen Studirenden, welche sich der
Kenntniß der polnischen Sprache befleißigen, lediglich aus diesem
Grunde Stipendien zugewandt werden sollen,
weil der Staat nicht zulassen könne, daß, abgesehen von dem geringen
Werthe, welchen die Kenntniß des Polnischen habe, für Förderung antinatio-
naler Bestrebungen, wie solche durch die Verbreitung der polnischen Sprache
in deutschen Gegenden thatsächlich geschehen sei, obenein noch eine Prämie
gesetzt werde.
29. „ (Deutsches Reich.) Bundesrath: Der Justizausschuß legt dem-
selben seinen Bericht über die den Jesuiten verwandten Orden und
Congregationen vor. Derselbe, ein sehr einläßliches Actenstück, läßt
sich dahin resumiren:
Der Bericht hebt hervor: das durchschlagende Princip für die Beurthei-
lung der vorliegenden Frage könne nur aus der dem Gesetze zu Grunde lie-
genden Absicht entnommen werden. Der Jesuitenorden ist von dem Gebiet
des deutschen Reichs ausgeschlossen, weil seine Tendenz und Wirksamkeit als
staatsgefährlich, d. h. mit den Grundlagen und Zwecken des Staates unver-
träglich anerkannt ist. In gewissem Maße würde das allgemeine Criterium
der Staatsgefährlichkeit die große Mehrzahl der bestehenden Orden treffen
müssen, da nach der Ansicht bewährter Canonisten die geistlichen Genossen-
schaften von der in der katholischen Hierarchie vorherrschenden, den Auf-
fassungen des Ordens der Gesellschaft Jesu entlehnten Richtung mehr oder
weniger ergriffen sind. Auch ist es Thatsache, daß viele derselben und gerade
diejenigen, welche nicht sowohl die Befriedigung des religiösen Bedürfnisses
ihrer Mitglieder durch Abschließung von der Welt im auge haben, als viel-
mehr practische Zwecke nach außen verfolgen, die mittelalterliche Verfassung
abgestreift und eine Form angenommen haben, welche dem Jesuitenorden in
wesentlichen Beziehungen nachgebildet ist. Da jedoch die Aufhebung der
religiösen Orden überhaupt nicht in der Absicht des Gesetzes gelegen hat,
vielmehr zwischen den den Jesuiten verwandten und den ihnen nicht ver-
wandten Orden zu unterscheiden ist, so werden unter den ersteren nur die-
jenigen verstanden werden können, welche nach ihrer Organisation, ihren
Zielen und ihrer Wirksamkeit mit den Jesuiten entweder auf gleicher Stufe
der Staatsgefährlichkeit stehen, oder doch in hervorragendem Maß als deren
Hilfsgenossen anzusehen sind. Wollte man den Begriff noch enger fassen und
als „verwandt“ nur diejenigen Orden und ordensähnlichen Congregationen
anerkennen, welche als Filial-Institute von den Jesuiten gegründet oder ihrer
unmittelbaren Leitung unterstellt sind, so würde die Gesetzesbestimmung rück-
sichtlich der „Orden“ bedeutungslos sein, da in diesem Sinn keiner der vor-
handenen Orden zu jener Categorie gehören würde, und von den „Congrega-
tionen“ — unter welchem Ausdruck der kirchliche Sprachgebrauch religiöse
Vereine versteht, deren Mitglieder ein einfaches (nicht feierliches) Gelübde
abgelegt haben — nur die Gesellschaft des Sacré-Coeur und der mariani-
schen Congregationen hieher zu rechnen sein. Dieses Sachverhältniß ist so
bekannt, daß das Gesetz, sofern eine solche Beschränkung in seiner Absicht
gelegen hätte, jene Genossenschaften ausdrücklich würde genannt haben. Wenn
es statt dessen einer allgemeinen Bezeichnung sich bediente, so liegt darin der