150
Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.
auch fast einstimmig angenommen, so daß die sogenannten Scheinoptanten
nunmehr auch ohne ausdrückliche Zurücknahme der Optionserklärung das
volle active und passive Wahlrecht zum Reichstag haben. § 8 lautet: „Auch
nach Einführung der Verfassung und bis zu anderweitiger gesetzlicher
Regelung kann der Kaiser unter Zustimmung des Bundesraths, während
der Reichstag nicht versammelt ist, Verordnungen mit gesetzlicher Kraft er-
lassen. Dieselben dürfen nichts bestimmen, was der Verfassung oder den in
Elsaß-Lothringen geltenden Reichsgesetzen zuwider ist, und sich nicht auf solche
Angelegenheiten beziehen, in welchen nach § 3 Absatz 2 des die Vereinigung
von Elsaß-Lothringen mit dem Deutschen Reiche betreffenden Gesetzes vom
9. Juni 1871 die Zustimmung des Reichstags erforderlich ist. Auf Grund
dieser Ermächtigung erlassene Verordnungen sind dem Reichstag bei dessen
nächstem Zusammentritt zur Genehmigung vorzulegen. Sie treten außer
Kraft, sobald die Genehmigung versagt wird." Hiezu beantragen 1) Windt-
horst (Meppen) statt der gesperrt gedruckten Worte zu setzen „bis zum 1. Jan.
1875." 2) Reichensperger (Olpe) statt des § 8 die folgenden Paragraphen
anzunehmen: § 8. Die gesetzgebende Gewalt wird in Elsaß-Lothringen gemäß
§ 3 des Gesetzes vom 9. Juni 1871 hinsichtlich der der Reichsgesetzgebung
nicht unterliegenden Angelegenheiten durch den Bundesrath und den Reichs-
tag so lange ausgeübt, bis das Recht der Mitwirkung bei der Gesetzgebung
und Besteuerung des Landes einer besonderen Landesvertretung übertragen
sein wird. Der Entwurf eines Landesverfassungsgesetzes wird dem Reichstag
in der nächsten ordentlichen Session vorgelegt werden. § 9. Nur in dem
Fall, wenn die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit oder die Beseiti-
gung eines ungewöhnlichen Nothstandes es dringend erfordert, können, inso-
fern der Reichstag nicht versammelt ist, Verordnungen mit Gesetzeskraft durch
den Kaiser unter Zustimmung des Bundesrathes erlassen werden. Dieselben
dürfen nicht bestimmen, was der Reichsverfassung oder den in Elsaß-Lothringen
geltenden Reichsgesetzen zuwider ist, und sich nicht auf solche Angelegenheiten
beziehen, in welchen nach § 3 Absatz 2 des die Vereinigung von Elsaß-
Lothringen mit dem Deutschen Reich betreffenden Gesetzes vom 9. Juni 1871
die Zustimmung des Reichstags erforderlich ist. Auf Grund dieser Ermäch-
tigung erlassene Verordnungen sind dem Reichstag bei dessen nächstem Zu-
sammentritt zur Genehmigung vorzulegen. Sie treten außer Kraft, sobald
diese Genehmigung versagt wird. Reichensperger (Olpe) erinnert an die
große staatsmännische Rede, mit welcher vor zwei Jahren der Reichskanzler
die Einverleibung von Elsaß-Lothringen in das Deutsche Reich befürwortet
habe. Er habe damals in prägnanten Worten anerkannt, daß auf dem Ge-
biete der Selbstverwaltung dem Reichsland ein sehr weiter Spielraum ge-
lassen werden dürfe. Leider seien den Worten die Thaten nicht gefolgt; auch
die Vorlage entspreche in keiner Weise jenen großen Principien. Das Princip
der Octroyirungsgewalt sei ja ein sehr anfechtbares. Bei Berathung der
preußischen Verfassung habe es der jetzige Finanzminister Camphausen als
Referent der zweiten Kammer für absolut unzulässig erklärt. Wenn gestern
der Reichskanzler es für ein unberechtigtes Mißtrauen erklärt habe, der Re-
gierung unvernünftige Handlungen zuzumuthen, so müsse er doch seinerseits
erinnern, daß die ganze Idee der repräsentativen Verfassung, der beschränkten
Regierungsgewalt auf diesem Mißtrauen beruhe, und wessen man sich von
der einflußreichsten deutschen Regierung in dieser Beziehung versehen könne,
beweise ja § 20 des preußischen Preßgesetz-Entwurfs. Dem Reichslande bald
eine Landesvertretung zu geben, sei nicht blos eine Rechts-, sondern auch
eine Ehrenpflicht des Deutschen Reiches; bis jetzt herrsche es im Elsaß nur
durch die äußere Macht; es müsse endlich auch an die moralische Eroberung
der reannectirten Lande denken. Windthorst (Meppen) ist in erster Reihe
für den Antrag des Vorredners; sein Amendement sei nur ein eventuelles,
welches verhindern solle, daß die Dictatur in infinitum ausgedehnt werde,