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Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.
Miquel'scher Compromiß-Antrag mit großer Mehrheit angenommen,
wonach Roheisen aller Art, altes Brucheisen, Rohstahl, zur See über russische
Grenzen eingeführt, sofort zollfrei wird, bezüglich aller übrigen Eisen= und
Stahlzollsätze der Regierungsvorlage Ermäßigung eintritt, die aber am
1. Januar 1877 gleichfalls gänzlicher Zollbefreiung Platz macht. Das
Uebrige wird in der Fassung der Regierungsvorlage angenommen.
Der Reichstag hält von diesem Tage an täglich zwei Sitzungen, um die
immerhin noch zahlreichen Tractanden binnen wenigen Tagen zu erledigen,
da die beschlußfähige Anzahl offenbar länger nicht mehr beisammen zu
halten ist.
20. Juni. (Preußen.) Der bisherige kath. Feldpropst (sog. Armeebischof)
Namszanowski wird vom Disciplinargericht in letzter Instanz auf Warte-
geld gesetzt, d. h. unter Belassung seines Gehalts seiner bisherigen
Stelle enthoben. Die ganze Institution bleibt abgeschafft.
„ (Preußen.) Der Oberkirchenrath schreitet gegen diejenigen Super-
intendenten ein, welche den Aufruf zu der lutherischen Conferenz nach
Berlin mitunterzeichnet haben, da diese Conferenz offenbar dazu be-
stimmt ist, dem obersten Kirchenregimente Opposition zu machen.
„ (Preußen.) Die Verhandlungen der kgl. Eisenbahn-Spezial=
untersuchungs-Commission bestätigen im Wesentlichen die Enthüllungen
Lasker's bez. des Geh. Rathes Wagener: derselbe sucht um seine
Pensionirung nach.
21. „ (Deutsches Reich.) Bundesrath: beschließt gegen die Stimmen
Sachsens, Württembergs, Badens, Sachsen-Weimars und Oldenburgs
auf den Antrag Preußens, die Abstimmung über den Gesetzesentwurf
betr. die Ausgabe von Reichscassenscheinen vorläufig auszusetzen und
„es dem Reichstage bei der Beschlußfassung über Art. 18 des Münz-
gesetzes anheim zu geben, die Einziehung des Staatspapiergeldes resp.
Ausgabe von Reichspapiergeld der Reichsgesetzgebung zu überlassen."
Der Beschluß erfolgt nach mehrfachen einläßlichen Verhandlungen über
die eingreifende Frage am 12. 18. und 20. d. M., da man sich über dieselbe
nicht zu einigen vermag und der Reichskanzler einen einfachen Majoritäts-
beschluß zu vermeiden trachtet. Sachsen namentlich widersetzt sich einem Be-
schlusse über die Staatspapiergeldfrage ohne gleichzeitige Regelung der Bank-
notenfrage. Eine solche aber scheint kaum anders möglich als durch Verzicht
der preußischen Regierung auf ihren Antheil an der preußischen Bank und
Erhebung derselben zu einer Reichsbank, wozu sich jedoch Preußen vorerst
wenigstens noch nicht entschließen kann.
„ (Deutsches Reich.) Reichstag: Zweite Berathung des Gesetzes-
entwurfs über die Bewilligung von Wohnungsgeld-Zuschüssen an die
Reichsbeamten und die Offiziere. Die Regierung siegt im Wesent-
lichen mit ihrer den Offizieren günstigen Vorlage.
Der Gegensatz, welcher in der Commission hervorgetreten war, zeigt sich
auch im Hause. Gegen die Bewilligung der Wohnungsgelder hatte an sich
Niemand etwas zu erinnern. Die Regierungsvorlage hatte zwei gesonderte
Tarife, den einen für die Offiziere und den andern für die Civilbeamten,
aufgestellt, von denen jener bis 700, dieser nur bis 500 Thlr. aufstieg. Die
Commission hatte beide in einen einzigen Tarif mit einem Maximalsatze von
500 Thlr. verschmolzen. Den Cardinalpunkt bildete die Frage, ob bei den