Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierzehnter Jahrgang. 1873. (14)

322 Trankreich. 
die Bank festgesetzten Summe von jährlich 200 Mill. Fr. auch in Zu- 
kunft keine Reduction stattfinden dürfe. In diesem Falle weist aber 
das Budget für 1874 ein Defizit von 170 Mill. aus, welche durch 
neue Steuern oder Erhöhung der bisherigen gedeckt werden müssen. 
18. Juni. Nat.-Versammlung: gesteht die Verfolgung des Dep. Ranc wegen 
Betheiligung an der Commune mit 450 gegen 250 Stimmen zu. 
Ranc entzieht sich derselben, indem er nach Belgien übertritt. 
„ Der Präfect von Lyon, Duoerot, gestattet Civilbegräbnisse fortan 
nur noch früh Morgens vor 6 Uhr und setzt sie damit der städtischen 
Mistausfuhr gleich. 
20. „ Wiederum machen zahlreiche Abgeordnete zur Nat.-Versammlung 
eine Demonstrationswallfahrt dießmal nach Paray-le-Monial. Demon- 
stration für Elsaß-Lothringen. 
Seit einem Monat schon pilgern die gläubigen Franzosen schaarenweise 
nach dem Ort, um den Himmel anzuflehen, „daß er den Papst befreie und 
Frankreich wieder zu der dominirenden Nation in Europa mache.“ Man 
etet dort zu dem heil. Herzen Jesu, und der Refrain des Liedes, welches 
die Pilger ohne Aufhören singen, lautet: Siegreicher Gott! rette Frankreich 
und Rom, im Namen des heiligen Herzens. Eine besonders große Anzahl 
von Pilgern aus Paris, Lille, Brest, Bayonne, Boulogne, Arras, Metz, dem 
Elsaß, Lourdes u. s. w. hat sich an diesem Tage dort eingefunden. Die 
Pilger selbst tragen alle rothe Kreuze auf der Brust, welche sie vor ihrer 
Abreise erhalten und die mit der nämlichen Formel geweiht worden, wie 
die Kreuze derer, die sich einst nach dem gelobten Lande begaben, um es den 
Ungläubigen zu entreißen. Die Zahl der Banner, die sich in Paray-le-Monial 
befinden, beträgt bereits 950. Darunter befinden sich auch die aus Metz 
und aus dem Elsaß, die mit großem Jubel begrüßt werden. Daß die Wall- 
fahrt hauptsächlich gegen Deutschland und Italien gerichtet ist, zeigen die 
Demonstrationen, welche an diesem Tage bei dem Aufzug der Elsässer und 
Lothringer stattfinden. Die Banner, welche dieselben mitgebracht, sind die 
der Städte Neubreisach, Metz und Straßburg. Das Straßburger Banner 
trägt der Jesuitenpater Jenner, der Jesuit Stumpf das Metzer. Diese drei 
Banner werden von den Pilgern mit besonderer Begeisterung begrüßt. Der 
General Sonnis, der mit dem päpstlichen Zuaven-General Charette anwesend 
ist, küßt dieselben und sagt zu dem aus Straßburg ausgewiesenen General- 
Vicar Rapp: „Eines Tages wird Ihnen der Elsaß zurückgegeben werden“, 
und Charette fügt hinzu: „Man hat Sie aus dem Elsaß verjagt; wir wer- 
den Sie dorthin zurückführen!“ Abends hält der Jesuit Stumpf eine An- 
sprache an die Elsaß-Lothringer und spricht sich folgender Maßen aus: 
„Meine Brüder aus dem Elsaß und Lothringen! Eure hiesige Anwesenheit 
zeigt, daß euer Herz von einer doppelten Liebe beseelt ist: von der Liebe zu 
dem heiligen Herzen und von der Liebe zu Frankreich! Die imposante Kund- 
gebung, deren Zeugen ihr seid, unterstützt euren Glauben und eure Hoffnung. 
Kehrt zu euren Landsleuten zurück und sagt ihnen, daß das heilige Herz sie 
segnet und daß Frankreich sie erwartet. Euer Wort wird mehr als eine 
Prophezeiung sein; es ist die Gewißheit einer Thatsache, welche bald unsere 
Traurigkeit verscheuchen wird. Fallen wir hier, wo unser Herr Jesus Chri- 
stus erschienen ist, auf die Kniee und rufen wir ihm für Elsaß zu: Herz 
Jefu, rette uns!“ Bei der Grocesson, die dann stattfindet, wird das be- 
kannte „Gott der Gnade — Gott, Erretter, — Rette Rom und Frankreich — 
Durch dein heiliges Herz!“ gesungen, was aber der Jesuitenpater Jenner 
noch für den besonderen Fall folgender Maßen abgeändert hat: „Gott der