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oder durch eigene Unterweisung.“ Aus einer vielleicht übertriebenen Vorsicht
ist noch dazu gesetzt: „Bei denjenigen Eltern, welche nicht lesen und schreiben
können, gilt zur Befreiung ihrer Kinder vom öffentlichen Unterrichte die An-
gabe nicht, daß sie selbst für die Unterweisung Sorge tragen werden." Der
folgende Artikel bestimmt den Umfang des Gesetzes: „Diese Verpflichtung
findet ohne Unterschied auf alle Gemeinden im Königreich Anwendung.“ Und
darin liegt der entschiedene Fortschritt. Das Schulgesetz vom Jahre 1859 fiel.
noch in die Zeit vor Constituirung des italienischen Königreichs. Es erstreckte
sich auf Piemont und die Lombardei und bestimmte selbst für diese nur einen
facultativen Unterricht, sofern je die einzelne Gemeinde das Recht hatte, ihn
in ihrem Bereiche verbindlich zu machen oder nicht. Durch diese absonder-
liche Bestimmung war nichts gewonnen. Denn es geht mit der Bildung,
wie mit den Luxusartikeln: man fühlt erst das Bedürfniß nach ihnen, wenn
man sich an sie gewöhnt hat. Gerade solche Gemeinden, in welchen am drin-
gendsten der obligatorische Unterricht nothwendig gewesen wäre, lehnten ihn
ab, auch um sich die pecuniären Opfer zu ersparen, die der Staat ihnen nur
theilweise abzunehmen geneigt war. Niemand verhehlt sich, daß bei Annahme
des jetzigen Entwurfs nach dieser Seite hin auch noch große Schwierigkeiten
zu überwinden sind. Ein Regiment von Soldaten stampft sich nicht aus
dem Boden, und ein Regiment von Schulmeistern noch weniger. Und über-
dieß würden nach annähernder Berechnung gegen 12,000 neue Schulen er-
forderlich sein, um das Gesetz auszuführen. Um nicht das absolut Unmög-
liche zu fordern, läßt nun derselbe Artikel den Gemeinden eine eventuelle
Frist von drei Jahren; „innerhalb dieser Zeit aber müssen alle Gemeinden
ohne Ausnahme die erforderlichen Schulen errichtet haben, und eine weitere
Frist oder ein Dispens vom Elementarunterricht darf nicht mehr gestattet
werden“". Die Commission empfiehlt schließlich diese beiden Paragraphen,
welche den Kern des Gesetzes bilden, mit einer geringfügigen Modification
zur Annahme.
28. Nov. II. Kammer: Der Ministerpräsident und Finanzminister Ming-
hetti macht derselben seine Vorlage betreffs Deckung des Deficits:
In der Hauptsache, der Papiergeldcirculation, soll eine Milliarde Staats-
papiergeld mit Zwangscurs und der Garantie der sechs bedeutendsten Banken
des Landes geschaffen und die Scheine dieser sechs Banken auf gleichen Fuß
gesetzt werden, d. h. legalen Curs haben, wodurch denn ein sehr unbequemes
Privilegium, das der Balkca sarda oder nazionale, aufgehoben würde. Auch
soll die Metallreserve der Banken frei gemacht werden, und sollen fortan
neben den Wechseln auf Papier auch Wechsel auf Gold im Inland ausge-
stellt werden können. In Bezug auf das Deficit läßt sich Minghetti's Exposé
folgendermaßen zusammenfassen. In Folge der eingetretenen Theuerung, des
immer noch steigenden Agio's, der Gründung neuer Gendarmerie-Compagnien
müssen die Militärausgaben von 150 auf 165 Millionen steigen — eine
Summe, die weder Entwaffnung noch Vermehrung des Heeres bedeutet. Die
Erhöhung der Gehalte der Civilbeamten, welche — in Folge der Einkommen-
steuer (13.20 Procent) und der Theuerung — am Hungertuch nagen, ist un-
vermeidlich und sind auf 7 Millionen veranschlagt. Das Deficit wird aber
etwa 135 anstatt etwa 112 Millionen betragen. Da die bedeutendsten Aus-
gaben, außer der Zinszahlung, durch die öffentlichen Arbeiten verursacht sind,
schlägt Minghetti vor, diese auf eine längere Reihe von Jahren zu vertheilen
und wenigstens 50 Millionen an Privat-Eisenbahngesellschaften abzutreten.
Angenommen nun, dieß habe keine Schwierigkeit, so bleiben noch immer 85
Millionen zu decken. Auf 10 Millionen jährlicher Mehrabwerfung der be-
stehenden Steuer zählte schon Sella, und die Erfahrung hat bewiesen, mit
Recht. Minghetti bringt sie ebenfalls in Anschlag und reducirt so das De-
ficit auf 75 Millionen. Da die ganze Steuerreform — alle Kataster für die
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