Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierzehnter Jahrgang. 1873. (14)

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#talien. 
Grundsteuer, deren es 24 verschiedene im Königreich gibt, wären zu peräquiren 
— zu kostspielig und zu weitaussehend ist, muß an raschere Hilfe gedacht 
werden. Minghetti rechnet mit leichteren Reformen zu beginnen und meint 
durch eine bessere Erhebung der Einkommensteuer 3 Millionen, der Mahlsteuer 
3 Millionen, des Registers 3 Millionen, durch Richtigkeitserklärung der nicht- 
registrirten Acte 9 Millionen — dieß ist beinahe der einzige Punkt, der mit 
Murren von der Kammer aufgenommen wird —, Steuer auf den Waaren- 
transport der Eisenbahnen 3 Millionen, Branntweinsteuer 2 Millionen, Steuer 
auf Cichorien ½ Million, Ausdehnung des Tabakmonopols auf Sicilien 2 
Millionen, Abschaffung mißbräuchlicher Postfreiheiten 2 Millionen, Maß und 
Gewicht 1 Million, zusammen 35 ½ Millionen zu erlangen. Es blieben dem- 
nach nur 40 Millionen Deficit, wenn alle diese Hoffnungen sich verwirklichen 
sollten, und der Minister findet nicht mehr als 11 Millionen, die er durch 
eine Steuer auf Börsengeschäfte und Heranziehung der jetzt den Gemein- 
den zukommenden Gebäudesteuer an den Staat erwartet. Um die Gemeinden 
ür diesen Ausfall zu entschädigen, schlägt Minghetti unter allgemeinem Bei- 
all vor, die Nationalgarde abzuschaffen, welche jetzt so sehr auf den Gemein- 
en lastet. Es bleiben also doch immer noch, selbst in diesem Falle, nahezu 
30 Mill. ungedeckt. Wenn man nun bedenkt, daß oben angeführte Veran- 
schlagungen doch immer sehr problematisch sind, daß für das nächste Jahr 
Hr. Minghetti selber nicht darauf zählt, so ergibt sich, daß Italien no 
immer sehr weit vom Ziel entfernt ist, ja daß für 1874 das Deficit zenoch 
ganz unberührt bleibt, in andern Worten, das Budget von 1875 wieder um 
etwa 10 Millionen Interessen mehr belastet werden wird. 
  
3. Dec. II. Kammer: Die Regierung sieht sich genöthigt, von ihrem son- 
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stigen Grundsatze „freie Kirche im freien Staate“ abzugehen und der 
Kammer eine Gesetzesvorlage zu machen, wonach die kirchliche Trauung 
in Zukunft stets dem Civilacte erst nachfolgen darf und jeder Geist- 
liche, der eine Trauung ohne vorausgegangenen Civilact vornimmt, 
mit einer Geldstrafe von 200—500 Fr., im Wiederholungsfalle aber 
mit Gefängnißstrafe von 2— 5 Monaten bedroht wird. Die Motivirung 
liegt darin, daß der Justizminister constatirt, daß vom 1. Januar 
1866 nur bis Ende 1871 in Italien nicht weniger als 120,421 
bloß kirchliche Ehen eingegangen worden-sind, die mithin dem Gesetze 
gegenüber ungiltig sind. 
„ II. Kammer: Der Marineminister Saint Bon erstattet derselben 
über den Zustand der Kriegsmarine einen sehr niederschlagenden Be- 
richt. Vier Fünftheile der vorhandenen Schiffe werden für nicht mehr 
see= oder kriegstüchtig erklärt und 25 Schiffe, worunter sogar einige 
Panzerfregatten, sollen sofort verkauft oder, wenn nöthig, sogar ver- 
brannt werden, obgleich im Verlaufe des letzten Jahrzehnts Hunderte 
von Millionen auf die Flotte verwendet worden sind. An die Her- 
stellung neuer kostspieliger Panzerschiffe kann aus finanziellen Gründen 
zur Zeit gar nicht gedacht werden; dagegen wird die Anschaffung zahl- 
reicher Torpedos zur Küstenvertheidigung empfohlen. 
„ Die Beziehungen zu Frankreich haben sich wieder gebessert. Ob- 
gleich der französische Gesandschaftsposten beim Hofe von Italien noch 
immer nicht wieder besetzt ist, so kehrt der italienische Gesandte Nigra 
doch nach Paris zurück.