36 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.
2. Jan. (Preußen.) Dem freisinnigen Berliner Prediger Sydow wird
der Beschluß des Consistoriums der Provinz Brandenburg zugestellt,
durch welche derselbe seines Amtes entsetzt und in die Kosten des Dis-
ciplinarverfahrens verurtheilt wird. Sydow behält sich den Recurs
an den Ober-Kirchenrath vor (s. 18. Dez. 1872).
4. „ (Württemberg.) II. Kammer: erklärt sich für Revision resp.
Beseitigung sämmtlicher Verfassungsbestimmungen über die Geschäfts-
ordnung und mit 76 gegen 6 Stimmen für Ertheilung des (bisher
vorenthaltenen) Rechts der Initiative an die Kammern.
6. „ (Mecklenburg.) Wiederzusammentritt des Landtags in Malchin.
Die Regierungen wollen sich mit den von den Ständen abgegebenen
Erklärungen bez. der Verfassungsfrage nicht beruhigen, sondern bestehen
durch gleichlautende Rescripte auf weiteren Verhandlungen, wenigstens
bezüglich der finanziellen Verhältnisse.
Ein Erfolg ist von vornherein nicht wahrscheinlich, da die Landschaft zu
einem anderweitigen finanziellen Arrangement nach ihrer früheren Erklärung
sich überhaupt nur dann bereit gezeigt hat, wenn die Vertretungsfrage in
ihrem Sinne erledigt würde, weßhalb sie ohne allen Zweifel auch jetzt von
der Forderung des Budgetrechts nicht zurücktreten und auch hierauf nur
dann eingehen wird, wenn an Stelle der bestehenden ständischen Vertretung
ein modernes Repräsentativsystem Annahme fände.
7. (Sachsen.) Wiederzusammentritt beider Kammern.
I. Kammer: tritt in die Schlußberathung des Schulgesetzes ein,
nachdem noch am Morgen ein von der II. Kammer unternommener
Verständigungsversuch erfolglos geblieben war: mit 40 gegen 3 Stim-
men wird beschlossen, daß die Volksschule confessionell sein solle, ein-
stimmig, daß die Kinder von Dissidenten an dem Religionsunterrichte
einer anerkannten oder bestätigten Religionsgesellschaft theilzunehmen
haben, einstimmig der Beschluß der II. Kammer abgelehnt, wonach die
Zahl der Religionsstunden nicht mehr als 3 betragen soll.
II. Kammer: nimmt mit allen gegen 10 Stimmen die Regierungs-
vorlage an, durch die der König aus eigener Initiative sich bereit
erklärt, ihre Rechte wesentlich zu erweitern, insbesondere ihnen das Recht
zu ertheilen, ihre Präsidenten selber zu ernennen, so wie das Recht des
Erlasses einer Adresse unabhängig von der Zustimmung der I. Kammer.
9. „ (Preußen.) Abg.-Haus: Der Cult= und Unterrichtsminister Falk
übergibt dem Hause zu dem bereits vorgelegten Gesetzesentwurf über
die Gränzen des Rechts zum Gebrauche kirchlicher Straf= und Zucht-
mittel drei weitere Vorlagen: über den Austritt aus der Kirche —
über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen — über die kirch-
liche Disciplinargewalt und die Errichtung eines kgl. Gerichtshofs für
kirchliche Angelegenheiten.
I. Gesetz- Entwurf, die Gränzen des Rechts zum Gebrauche
kirchlicher Straf= und Zuchtmittel betr.:
§ 1. Kein Religionsdiener ist befugt, Straf= oder Zuchtmittel anzu-
drohen, zu verhängen oder zu verkünden, welche weder dem rein religiösen