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Aus-
sichten.
Uebersicht der Ereignisse des Zahres 1873.
Staates gegen die Ansprüche der Hierarchie energisch zu wahren, in-
dem sie die den Bischöfen nach dem Zusammenbruch des J. 1848
gemachten Concessionen einfach zurückzog, durch kgl. Verordnung die
veraltete Idee der Pfarrschulen gänzlich beseitigte, die Schulen un-
zweideutig als Sache der politischen Gemeinden anerkannte und dem
kath. Confessionalismus dadurch entgegentrat, daß sie der Errichtung
von Simultanschulen für die verschiedenen Confessionen jedes Hinderniß
aus dem Wege schaffte.
Der Kampf des Staates mit der römischen Hierarchie ist ohne
Zweifel die größte Frage, welche das Jahr 1873 dem folgenden zu
weiterer Fortführung überantwortet hat. Bis jetzt macht die Hierar-
chie noch keine Miene nachgeben, oder auch nur auf ein Titelchen
ihrer Ansprüche verzichten zu wollen. Aber auch der Staat, Preußen
voran, scheint entschlossen, die große Frage durchzufechten und zum
endlichen Abschlusse zu bringen, überzeugt wie er ist, daß die wahren
Interessen der Kirche dadurch nicht verlieren, sondern nur gewinnen
werden. Es ist nicht abzusehen, wie auf diesem Gebiete und in dieser
Frage ein Compromiß irgend welcher Art sollte erfolgen können. Die
Frage ist von beiden Seiten principiell gestellt und das Princip von
beiden so klar und nett formulirt worden, daß gar nichts anderes
übrig zu bleiben scheint, als daß sich entweder die Kirche in allem,
was an ihr dieser Welt angehört, unter den Staat und die Gesetze
des Staates beuge, oder daß der Staat wieder und zwar dießmal
gänzlich unter die Botmäßigkeit der Kirche zurück sinke. Das letztere
ist ganz und gar unwahrscheinlich. Die Zeiten sind andere geworden,
als diejenigen waren, auf deren Anschauungen Rom seine Ansprüche
stützt. Die Kirche ist nicht mehr dieselbe und der Staat nicht: die
Waffen der ersteren sind alt und rostig geworden, während die Macht-
mittel und das Bewußtsein des letzteren unendlich gewachsen sind. Wenn
der Staat festhält und sich vor Mißgriffen, die allerdings nahe liegen,
hütet, so wird er sein Ziel schließlich erreichen, wenn sich der Kampf
auch noch so sehr in die Länge ziehen sollte. In Deutschland bilden
die Ultramontanen nur eine verhältnißmäßig schwache Minderheit, die
gegen die Mehrheit und die Regierungen, sobald sie fest zusammen-
halten, nicht aufkommen kann. Der passive Widerstand, den die Bi-
schöfe in's Werk gesetzt haben, wird in sich selbst erlahmen und keinen
Erfolg zurücklassen, als daß die kath. Kirche Deutschlands durch ihn