Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 53
lich, die Thätigkeit dieses Ressorts in ihren Spezialitäten und Wirkungen
so genau zu controliren, daß man sagen könnte, jeder Minister ist jederzeit
für jede Handlung seiner Collegen verantwortlich; es vergehen oft Jahre,
ehe ein Minister sich überzeugt, daß die Thätigkeitz eines seiner Collegen
Resultate hat, für deren Gewinn er die Verantwortung nicht tragen will.
Was die Motive des Wechsels der Geschäfte im Staatsministerium betrifft,
so erlaube ich mir festzustellen, daß solche Motive im Ganzen immer einfacher
liegen, als das Gericht und die Presse gern meinen. Es ist bekannt, daß
der Geschäftsumfang, der mir oblag, ein so vielseitiger war, wie es kaum in
einem ähnlichen Verhältnisse in einem Staate von ähnlicher Größe je der
Fall gewesen ist. Im Anfange der Periode der Cumulation dieser Geschäfte
hielt ich es fast für unmöglich, einen Theil derselben abzutrennen, ohne das
Ganze zu gefährden. Es kam dazu, daß meine Arbeitskraft stärker war, als
sie schließlich geblieben ist, und daß ich gerade im auswärtigen Amt eine
Hilfe hatte, deren ich gerne bei dieser Gelegenheit gedenke — es war der
verstorbene Geheimrath Abeken. Ich habe mich seitdem nach und nach über-
zeugen müssen, daß es ganz unmöglich ist, diesen bedeutenden Geschäftsum-
fang, der mir oblag, auch nun in der Weise zu übersehen, daß ich jederzeit
mich darüber entschließen kann, ob ich die Verantwortung für das Einzelne
tragen will oder nicht. Die auswärtigen Geschäfte des deutschen Reichs sind,
Dank sei es unseren guten Beziehungen zu allen Regierungen, im Augen-
blick friedliche, aber diesen Frieden nach allen Seiten hin zu wahren und
zu pflegen, ist eine Aufgabe, die eben die Arbeit eines Mannes erfordert.
Wenn ich daneben in der Stellung eines Kanzlers des deutschen Reiches
erhebliche Aufgaben der innern Verwaltung habe, außerdem die Verwaltung,
die Verantwortung wenigstens für die Verwaltung des Reichslandes, so ist
ja auch dieser Geschäftsumfang eigentlich nur möglich durch die Unterstützung,
die ich nach so vielen Seiten hin in diesen Dingen finde. Wenn ich in
Reichsangelegenheiten zu einem Punkte komme, wo es mir zweifelhaft wird,
ob ich für die Thätigkeit des hoch und ministermäßig gestellten Beamten die
Verantwortung ferner übernehmen will, so kann ich Rechenschaft fordern,
mein Veto einlegen und bin berechtigt, im äußersten Falle zu verfügen.
Viel mühevoller ist die Aufgabe eines preußischen Ministerpräsidenten, der
eine große Verantwortung hat und sehr wenig Mittel, dieser Stellung Nach-
druck zu geben. Wenn gegen seine Einflüsse sich innerhalb eines Ministeriums
ein passiver Widerstand entwickelt, so habe ich darüber die Erfahrung, daß
man gewissermaßen im Sande ermüdet und seine Ohnmacht erkennt. Wenn
ich mir also die Wahl stellen mußte, meinen Geschäftskreis zu verkleinern,
so konnte ich darüber nach einer zehnjährigen Erfahrung nicht zweifelhaft
sein, daß die Stellung des preußischen Ministerpräsidenten diejenige war, die
meine Arbeitskraft am Meisten in Anspruch nahm. Es ist ja im Ganzen
nicht die Arbeit, die den Menschen körperlich in der Friktion, in der wir in
parlamentarischen Staaten leben, aufreibt, sondern es ist das ununterbrochene
Gefühl der Verantwortlichkeit für die Interessen von 25 oder 40 Millionen.
Weit über die Hälfe meiner Geschäfte kam aus dem Ministerpräsidium und
aus dem Aufgeben desselben die geringste Einbuße an Einfluß, denn daß
ich auf diesen Einfluß verzichten wollte und könnte, so lange ich Reichs-
kanzler bin, daran ist ja gar nicht zu denken. Meine äußere Stellung zum
preußischen Ministerium könnte noch mehr gelockert werden, als sie ist; die
Geschäfte blieben doch unzertrennbar. Der Reichskanzler, wenn er die Haupt-
bedingung seiner Aufgabe überhaupt erfüllen soll, muß derjenige Beamte
sein, auf den S. M. der Kaiser das höchste Vertrauen zu diesem Zweck setzt.
Hat er das Vertrauen des Kaisers, so ist doch unmöglich anzunehmen, daß
S. M. der König von Preußen in dieser Eigenschaft seinem preußischen
Ministerium eine Politik gestatten werde, die dem als Reichskanzler
mit dem kaiserlichen Vertrauen beehrten Beamten die Wirksamkeit im Reich