Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierzehnter Jahrgang. 1873. (14)

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Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 
Abschluß zu bringen. Dann mögen die so constituirten Kirchen zur Her- 
stellung der Einen Kirchenverfassung das Beste selbst thun. In Hannover 
ist bereits eine Kirchenverfassung zum Abschluß gekommen, allerdings nur 
für die evangelisch--lutherische Kirche, während mehr als 120 reformirte Ge- 
meinden dieses Vorzuges noch entbehren. Bezüglich der Provinz Hessen ver- 
weise ich auf die reichlichen Verhandlungen in diesem Hause. Ich werde, 
nachdem das Haus die Mittel für das Consistorium bewilligt hat, die hessi- 
schen Verhältnisse mit eigenen Augen ansehen, um den richtigen Weg zu 
finden. Die Provinz Schleswig-Holstein hatte eine das ganze Gebiet um- 
fassende Synode und hat durch dieselbe einen Synodalentwurf erhalten. 
Auch er muß diesem Hause vorgelegt werden. Im ehemaligen Herzogthum 
Nassau hat man nicht mit einer das ganze Gebiet umfassenden Synode, son- 
dern mit dem Aufbau von unten anzufangen versucht, wobei ich dahingestellt 
sein lasse, ob dieß richtig und glücklich war; jedenfalls ist auch dort ein 
entscheidender Schritt zu thun. Ich kann nicht ganz übersehen, ob und 
wieviel Mittel mir dabei neben den 25,000 Thalern zu Gebote stehen, und 
es ist deshalb nicht ausgeschlossen, daß ein allerdings nicht großer Theil 
dieser Gelder zu diesem Zwecke verwendet werden muß. Die Hauptsumme, 
vielleicht die ganze Summe ist bestimmt zum weiteren Ausbau der Organi- 
sation der Kirche in den sog. alten Provinzen des Landes. Deren Kirchen- 
verfassung muß zum vorläufigen Abschluß kommen auf der Grundlage ihrer 
bisherigen Zusammengehörigkeit; und in weiterer Ausführung, ob, wenn 
die Kirchenverfassung abgeschlossen ist, es dann zweckmäßig sein möge, in 
gewissen und vielleicht auch in erheblichen Beziehungen diesen Zusammenhang 
zu lösen, ob es dann gut sein werde, etwa innerhalb territorialer Abgren- 
 
 
zungen in diesem großen Gebiete die vorhandenen kirchlichen Gestaltungen 
zu selbständigen Kirchen zu erheben, das mag dereinst die Kirche selbst ent- 
scheiden. Aber im gegenwärtigen Augenblicke würde die Verfolgung eines 
solchen Gedankens heißen, die so dringend nothwendige vorläufige Abschließung 
der langjährigen Bestrebungen zur Erlangung der Synodal-Verfassung ad 
calendas Graecas hinausschieben. Dieser Gedanke besitzt viel Lockendes, aber 
er befindet sich in Widerspruch mit der historischen Entwickelung der jetzigen 
Verhältnisse und hat den Irrthum zur Voraussetzung, als ob in solchen 
territorial abgegrenzten Bezirken die Entwickelung der kirchlichen Verhältnisse, 
insbesondere nach der Seite der Confessionalität hin, überall nur eine gleich- 
artige gewesen sei, — ein Irrthum, der sich damit strafen würde, daß in 
solchen Territorien nicht eine, sondern verschiedene Kirchengemeinschaften und 
Kirchengestaltungen den Anspruch auf Erhebung zu selbständigen Kirchen 
machen würden. Dieser Gedanke mag in einzelnen Kreisen Wurzel gefaßt 
haben, Gemeindeeigenthum der evangelischen Kirche ist er indessen noch nicht 
geworden, und er steht in Widerspruch mit der Ueberzeugung Derjenigen, 
welche nicht bei der Begründung von Verhältnissen mitwirken wollen, aus 
denen die Bewegung auf Anfechtung der Union Kräfte saugen kann — und 
zu den Männern, die dazu mitwirken nicht wollen, gehöre ich. (Bravo!) 
Von solchem Standpunkte ist eine Landessynode für das Gebiet der alten 
Provinzen das Richtige, und ich bin der Meinung, daß wir möglichst bald 
zu einer solchen gelangen müssen; hoffentlich können wir schon das nächste 
Jahr dazu in Aussicht nehmen. Ohne dieselbe werden wir zu einer defini- 
tiven Auseinandersetzung nicht gelangen. Auf dem vorgeschlagenen Wege, 
mit der Kräftigung der Gemeinden anzufangen und das Uebrige der Zukunft 
zu überlassen, würden unsere dringenden Bedürfnisse nicht befriedigt. Die 
25,000 Thlr. werden dazu erbeten, zu geordneten Provinzialsynoden zu ge- 
langen, aus denen dann die Landessynode erwächst. Aber wenn auch diese 
Provinzialsynoden in den Kreissynoden und damit indirect in den Gemeinde- 
kirchenräthen wurzeln müssen, so ist doch die gegenwärtig bestehende Basis 
nicht die, auf welcher eine gedeihliche Constituirung der Provinzialsynoden