Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 89
kämpfung der deutschen Sprache im Posen'schen, und es trat auch in Schle-
sien Seitens der polnischen Partei eine wesentliche Begünstigung der kirch-
lichen Bestrebungen auf. Aber was nich zuerst auf die Gefahr aufmerksam
gemacht hat, das war die Macht, die diese während des Krieges gebildete
Coalition sich inzwischen erworben hatte. Es wurden Abgeordnete in ihren
Wahlkreisen, wo sie längere Zeit hindurch gewählt worden waren, durch
Decrete abgesetzt, und Wahlen vorgeschrieben für dort noch unbekannte Leute.
Es war eine straffe Organisation, es war eine Macht über die Ge-
müther, wie man sie bedurfte, wenn man das Programm, welches der vorhin
erwähnte Kirchenfürst, Bischof von Mainz, kundgegeben, verwirklichen wollte.
Wohin geht diese Druckschrift? Sie ist gar angenehm zu lesen. Sie ging
dahin, im preußischen Staate einen staatlichen Dualismus zu errichten,
einen Staat im Staate einzuführen und sämmtliche Politiker dahin zu führen,
daß sie für ihr Verhalten im politischen wie im Familienleben sogar die
Leitung von dieser Fraction empfangen. Wir kamen zu einem Dualismus
der allerschlimmsten Art. Es läßt sich ja in einem Reiche mit einem Dualis-
mus der Verfassung regieren, wie dies an Oesterreich zu sehen ist; aber es
handelte sich hier um die Herstellung zweier constitutioneller Staaten, von
denen der oberste Leiter des einen, des katholischen, ein ausländischer Kirchen-
fürst war, der in Rom seinen Sitz hat, ein Fürst, der durch die neuesten
Aenderungen der Verfassung mächtig geworden war. Wir hatten, wenn dieses
Programm sich verwirklichte, statt des bis dahin geschlossenen preußischen
Staates und Deutschen Reiches zwei dualistische Staaten; der eine hatte
seinen Generalstab in der Centrumsfraction, der andere ihn in dem weltlichen
Princip. Dese Situation, m. H., war eine vollständig unannehm-
bare für diese Regierung. Es war ihre Pflicht, den Staat gegen diese
Gefahr zu vertheidigen. Sie hätte die Sache verkannt und vernachlässigt,
wenn sie ruhig zugewartet hätte, Angesichts der erstaunlichen Fortschritte,
welche die Sache schon gemacht hatte. Sie war zu einer Vertheidigung ge-
nöthigt, und war genöthigt, einen Waffenstillstand, wie er in den Artikeln der
Verfassung von 1848 vorbereitet und 1851 niedergelegt ist, einen neuen
modus vivendi zwischen der weltlichen und kirchlichen Gewalt herzustellen.
Der Staat kann hierbei nicht bestehen, ohne von seinem Standpunkte aus
zu inneren Kämpfen getrieben zu werden. Die ganze Frage liegt darin:
Sind diese Paragraphen in diesem Sinne, wie sie die Regierung Ihnen hier
vorlegt, dem Frieden und der Ordnung des Staates gefährlich oder nicht?
Sind sie es, dann erfüllen Sie keine conservative Pflicht, wenn Sie für die-
selben stimmen. Halten Sie sie für vollständig ungefährlich, so ist das die
Meinung, welche die Regierung ihrerseits theilt, und sie kann daher die Ge-
schäfte nicht weiter fortführen mit den alten Paragraphen, die uns denen
überlassen, die diesen Kampf der Vertheidigung des Staates zu Gunsten der
katholischen Kirche zu beendigen hoffen. Die Regierung wendet sich daher
an das Herrenhaus mit der Bitte, ihr Beistand gegen die Unterwühlung
ihrer Autorität zu leisten, und sie hat das Vertrauen, daß ihr dieser Beistand
bei der Mehrheit der Mitglieder des Herrenhauses auch nicht fehlen werde.
10.— 11. März. (Preußen.) Prof. v. Schulte, eines der hervorragend-
sten und einflußreichsten Häupter des Altkatholicismus wird von Prag
auf den Lehrstuhl des kanonischen Rechts an der Universität Bonn
berufen.
11. „ (Mecklen burg.) 22,600 Mecklenburger petitioniren beim Reichs-
tage um Einführung einer constitutionellen Verfassung.
12. „ (Deutsches Reich.) Eröffnung des Reichstags. Thronrede des
Kaisers: