Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierzehnter Jahrgang. 1873. (14)

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Das, deutsche Reich und seine cinzelnen Glieder. 
„Geehrte Herren! Im Namen der verbündeten Regierungen heiße Ich 
Sie zur letzten Session der Legislatur-Periode willkommen. Während dreier 
Sessionen haben Sie in Gemeinschaft mit dem Bundesrathe eine doppelte 
Aufgabe zu erfüllen gehabt: die Befestigung und Ausbildung der durch die 
Reichsverfassung geschaffenen Institutionen und die Ordnung und Regelung 
der durch einen großen Krieg herbeigeführten außerordentlichen Verhältnisse. 
In beiden Beziehungen wird Ihre Thätigkeit wiederum in Anspruch genom- 
men werden, theils für den Abschluß der in ihren Grundlagen festgestellten, 
theils für die Schöpfung neuer Einrichtungen. Das Eigenthumsverhältniß 
an den aus den Verwaltungen der einzelnen Bundesstaaten an die Reichs- 
verwaltung übergegangenen Grundstücke bedarf der gesetzlichen Regelung, 
um die immer mehr hervortretenden Schwierigkeiten zu beseitigen, welche von 
der über diesem Verhältniß ruhenden Unklarheit unzertrennlich sind. Das 
deutsche Festungssystem erheischt eine Umgestaltung, welche, indem sie die 
Vertheidigungsfähigkeit der großen Waffenplätze erhöht, den Verzicht auf die 
Erhaltung anderer Befestigungen gestattet. Die Ansprüche, welche den In- 
validen aus dem letzten Kriege und deren Hinterbliebenen gesetzlich zustehen, 
erfordern Einrichtungen, welche Gewähr dafür leisten, daß die Deckung dieser 
Ansprüche aus der Kriegsentschädigung bestritten werden wird, ohne auf die 
regelmäßigen Einnahmen des Reichs zurückzugehen. Der vor sechs Jahren 
für die Entwicklung der Kriegs-Marine festgestellte, seiner Ausführung 
nahe gebrachte Plan wird in Betracht der seitdem eingetretenen Verhältnisse 
und gewonnenen Erfahrungen einer in Ihrer letzten Session auch von Ihnen 
angeregten Umgestaltung zu unterwerfen sein. Ein allgemeines Mili- 
tärgesetz ist in der Verfassung verheißen und durch die Erweiterung des 
deutschen Heeres zu einer Nothwendigkeit geworden. Auf der Grundlage des 
Gesetzes über die Verpflichtung zum Kriegsdienste und der erprobten Ein- 
richtungen der Armee wird es der Wehrkraft der Nation die Ausbildung 
sichern, um welche uns das Ausland beneidet und welche die Bürgschaft 
dafür bietet, daß Deutschland sich in Frieden der Güter erfreue, die es auf 
geistigem und wirthschaftlichem Gebiete erwirbt. Die Leistungen, welche vom 
Lande im Falle eines Krieges zu fordern, und die Grundsätze, nach welchen 
diese Leistungen zu vergüten sind, werden ebenfalls unter Beachtung der im 
letzten Kriege gemachten Erfahrungen neu und gleichmäßig zu ordnen sein. 
Durch die Beschlüsse in Ihrer vorletzten Session haben Sie die äußere Lage 
der Reichsbeamten günstiger gestaltet. Die Erfahrung hat gezeigt, daß 
die damals von Ihnen verlangten und bereitwillig gewährten Bewilligungen 
nicht ausreichen, um das Einkommen der Beamten so zu regeln, wie das 
öffentliche Interesse es erfordert. Dieselben Erfahrungen erheischen mit gleicher 
Dringlichkeit eine Verbesserung des Einkommens der Offiziere und 
Unteroffiziere. Die günstige Lage der Einnahmen des Reichs wird es 
gestatten, diese Zwecke ohne Erhöhung der Matrikularbeiträge zu erreichen. 
Um so mehr vertraue Ich, daß den Vorlagen, welche für diese Zwecke nach 
erfolgter Zustimmung des Bundesrathes Ihnen zugehen werden, Ihre Ge- 
nehmigung nicht fehlen wird. Die in ihrer Grundlage festgestellte Neuge- 
staltung des deutschen Münzwesens soll durch einen Ihnen zugehenden 
Gesetzentwurf ihren endgiltigen Abschluß erhalten. Für die Beförderung von 
Packeten und Werthsendungen durch die Post wird Ihnen ein neuer Tarif 
vorgelegt werden, welcher den doppelten Zweck hat, die bestehenden Sätze 
wesentlich zu vereinfachen und in den meisten Fällen erheblich zu ermäßigen. 
In Folge der während Ihrer letzten Session über die Salzsteuer stattge- 
fundenen Verhandlungen hat der Bundesrath eine eingehende Erörterung der 
Frage eingeleitet, auf welchem Wege die bei Aufhebung dieser Steuer aus- 
fallende Einnahme anderweit zu beschaffen sei. Diese Erörterung ist ihrem 
Abschluß nahe, und es wird ihr Ergebniß einen Gegenstand Ihrer Berathungen 
bilden. Wenige Tage nach dem Schlusse Ihrer letzten Session wurde mit 

	        
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