96 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 16.—18.)
bösen Tagen, im Sturm wie im Sonnenschein, immer eingedenk des Ruhmes
des deutschen Vaterlandes und immer bereit, das Herzblut für die Ehre der
deutschen Flagge zu geben. Bei solchem Streben wird Gottes Segen mit
uns sein.
Schloß Friedrichskron, den 15. Juni 1888. Wilhelm.
16. Juni. (Mackenzies Erklärung.) Auf Befehl Kaiser
Wilhelms erstattet Mackenzie einen Bericht über die Krankheit Kaiser
Friedrichs. In diesem Schriftstück erklärt Mackenzie: Es könne
keinem Zweifel unterliegen, daß die Krankheit Kaiser Friedrichs
Krebs des Kehlkopfes gewesen ist.
16. Juni. (Sektion der Leiche Kaiser Friedrichs.) Nach
Einbalsamierung der Kaiserleiche mit eingespritzter Wickersheimer-
scher Flüssigkeit wurde nachmittags in Gegenwart der Ärzte und
des Hausministers Grafen Stolberg die Sezierung vorgenommen.
Die Sektion führte Professor Virchow aus, während Professor Waldeyer
die für die Untersuchung erforderlichen mikroskopischen Präparate anfertigte.
Eine vollständige Sektion wurde jedoch nicht gemacht, sondern nur die direkt
erkrankten Organe: Hals, Kehlkopf und Lungen, eröffnet, während die anderen
Organe vollkommen unversehrt blieben. Die Sektion ergab in der Haupt-
sache eine vollständige Zerstörung des Kehlkopfes durch Krebs und putride
Bronchitis.
18. Juni. Beisetzung Kaiser Friedrichs von Schloß
Friedrichskron aus nach der Friedenskirche. Von fremden Fürst-
lichkeiten waren nur wenige dem Berliner Hofe besonders nahe-
stehende Persönlichkeiten erschienen. Die übrigen Höfe hatten sich,
einem Wunsche des Verewigten gemäß, durch Delegierte vertreten
lassen.
18. Juni. (Proklamation Kaiser Wilhelms II.)
An Mein Volk! “
Gottes'’ Ratschluß hat über uns aufs neue die schmerzlichste Trauer
verhängt. Nachdem die Gruft über der sterblichen Hülle Meines unvergeß-
lichen Herrn Großvaters sich kaum geschlossen hat, ist auch Meines heißge-
liebten Herrn Vaters Majestät aus dieser Zeitlichkeit zum ewigen Frieden
abgerufen worden. Die heldenmütige, aus christlicher Ergebung erwachsende
Tatkraft, mit der er seinen königlichen Pflichten ungeachtet seines Leidens
gerecht zu werden wußte, schien der Hoffnung Raum zu geben, daß er dem
Vaterlande noch länger erhalten bleiben werde. Gott hat es anders be-
schlossen. Dem königlichen Dulder, dessen Herz für alles Große und Schöne
schlug, sind nur wenige Monate beschieden gewesen, um auch auf dem Throne
die edlen Eigenschaften des Geistes und Herzens zu betätigen, welche ihm
die Liebe seines Volkes gewonnen haben. Der Tugenden, die ihn schmückten,
der Siege, die er auf den Schlachtfeldern einst errungen hat, wird dankbar
gedacht werden, so lange deutsche Herzen schlagen, und unvergänglicher Ruhm
wird seine ritterliche Gestalt in der Geschichte des Vaterlandes verklären.
Auf den Thron meiner Väter berufen, habe Ich die Regierung im
Aufblicke zu dem Könige aller Könige übernommen und Gott gelobt, nach
dem Beispiel meiner Väter meinem Volke ein gerechter und milder Fürst zu